Das Global Earthquake Model (GEM) hat die erste weltweite digitale Erdbeben-Risikolandkarte veröffentlicht, die eine Bewertung des Erdbebenrisikos in jedem erdbebengefährdeten Land möglich macht. Das GEM ist 2007 auf Initiative von Forschern und der OECD mit Munich Re als einzigem Unternehmen und Gründungssponsor entstanden. Noch heute ist Munich Re dem GEM als wichtiger Förderer verbunden. Alexander Allmann, Erdbebenexperte und Head of Geo Risks von Munich Re, erläutert die Hintergründe.
Worum geht es beim Global Earthquake Model?
Alexander Allmann: Das Global Earthquake Model (GEM) ist eine Gemeinschaftsinitiative von führenden Geo-Forschungszentren, der Wirtschaft und internationalen Organisationen. Ziel war, nicht nur die Erdbebengefährdung weltweit abzubilden, sondern in Verbindung mit Daten etwa zur Volkswirtschaft und dem exponiertem Gebäudebestand für jedes Land ein Risikomodell zu erstellen. Dieses erlaubt Schadenpotenziale und den Nutzen von Mitigationsmaßnahmen abzuschätzen. Das gab es vor allem für Schwellen- und Entwicklungsländer bisher nicht. Nun hat GEM nach gut zehn Jahren das weltweite Modell und alle regionalen Differenzierungen vorgestellt. Alle großen bestehenden Erdbebenmodelle wie zum Beispiel das der japanischen Behörden sind beim GEM mit eingebunden. Das ist ein Meilenstein, hunderte Wissenschaftler, nationale und internationale Organisationen haben dazu beigetragen.
Und wer profitiert nun davon, dass eine weltweite Risiko-Bewertung für Erdbeben möglich ist?
Besonders stark werden Entwicklungs- und Schwellenländer profitieren. Denn während es für entwickelte Staaten mit signifikantem Erdbebenrisiko bereits seit längerem Risikomodelle gibt, war dies für ärmere Länder wegen unzureichender Daten und verschiedener Methoden meist nicht möglich. Das GEM ermöglicht in vielen dieser Länder nun erstmals eine genauere Risikoabschätzung, die Eintrittswahrscheinlichkeiten, Werteexponierung und Schadenanfälligkeit mit berücksichtigt. Zusätzlich wurde durch das Einbinden lokaler Wissenschaftler und Institute gezielt Wissen aufgebaut, um Behörden oder den Zivilschutz besser zu beraten.
Was nutzt es den Menschen in diesen Ländern, und welche Rolle hat Versicherung dabei?
92% aller bei Erdbeben getöteten Menschen seit 1980 fielen Erdbeben in Entwicklungsländern und ärmeren Schwellenländern zum Opfer (Low income und Lower middle income group). Rund 61% der weltweiten Erdbeben trafen diese Länder. In Industrieländern verursachten Erdbeben den größten Teil der Gesamtschäden, der Anteil der getöteten Menschen an der weltweiten Opferzahl war wegen der besseren Schutzvorkehrungen mit 3,6% dagegen gering. Bei den finanziellen Schäden bleiben in ärmeren Ländern die Menschen zudem auf einem Großteil der Belastungen sitzen: Der versicherte Anteil an den Schäden in Entwicklungsländern seit 1980 lag bei unter 3%.
Durch das GEM werden Präventionsmaßnahmen viel besser planbar, so dass Menschenleben besser geschützt werden können. Das Wissen, mit welchen Schäden zu rechnen ist und welche Effekte Mitigationsmaßnahmen haben könnten, ist ein wichtiger erster Schritt zum Handeln. Auch Versicherungsdeckungen sind leichter möglich, so dass Betroffene nach einer Katastrophe – abgesehen von dem vielfach schrecklichen menschlichen Leid – zumindest finanziell schneller wieder auf die Beine kommen können.
Wer kann die GEM-Modelle nutzen?
Das GEM arbeitet auf Open-Source-Basis, so dass die Modelle von Nutzern gezielt angepasst werden können. Nutzer werden voraussichtlich lokale und überregionale Regierungen und Verwaltungen, internationale Organisationen, Forscher und vermutlich viele Versicherer sein. Auch Munich Re nutzt GEM-Daten als wichtige Grundlage für unsere eigenen Modelle.
Kann GEM ein Vorbild sein für die Bewertung anderer Großrisiken?
Das ist theoretisch denkbar, jedoch ist der Aufwand, solch eine Organisation zu gründen und so viele unterschiedliche Stakeholder zusammenzubringen, eine echte Mammutaufgabe. Nicht umsonst hat es zehn Jahre gedauert, bis ein erstes globales Risikomodell fertiggestellt werden konnte. Dafür braucht es einen langen Atem und Partner, die sich auf das gemeinsame Ziel eingeschworen haben. Es gibt bereits Diskussionen von GEM mit Experten für andere Gefahren wie zum Beispiel Vulkanausbrüchen oder Überschwemmungen, inwiefern man die Erfahrungen, manche Funktionalitäten oder Datenbanken von GEM nutzen könnte.