Fahrassistenzsysteme ermöglichen es bereits heute, weitgehend automatisierte Fahrzeuge im Straßenverkehr einzusetzen. Damit dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch vollautomatisierte Fahrzeuge Serienreife erlangen. Wie wirkt sich das auf die Haftung für Schäden bei Autounfällen aus?
Viele nationale Rechtsordnungen sahen bislang vor, dass jedes Fahrzeug zwingend einen Fahrer haben muss. Dies beruht vor allem auf dem Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr von 1968. Diesem sind weltweit 76 Staaten beigetreten, darunter nahezu alle europäischen. Artikel 8 dieses Übereinkommens bestimmt: „Jedes Fahrzeug und miteinander verbundene Fahrzeuge müssen, wenn sie in Bewegung sind, einen Führer haben.“ 2014 wurde jedoch beschlossen, hierfür künftig genügen zu lassen, dass der menschliche Fahrer die vorhandenen Fahrassistenzsysteme jederzeit abschalten oder sich über deren Vorgaben hinwegsetzen kann.
Sobald die nationalen Rechtsordnungen diese Änderung umgesetzt haben, ist der Weg frei für vollautomatisierte Fahrzeuge. In diesen wird sich allerdings weiterhin mindestens ein Mensch befinden müssen, der bei Bedarf die Steuerung des Fahrzeugs übernehmen kann. Daneben haben verschiedene Staaten die Voraussetzungen für die Erprobung automatisierter Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen geregelt. Dadurch soll nicht zuletzt sichergestellt werden, dass bestimmte Sicherheitsstandards gewahrt sind und bei etwaigen Unfällen die Entschädigung der Opfer gewährleistet ist. Vollautomatisierte Fahrzeuge können daher bereits heute unter Alltagsbedingungen getestet werden.
Mehr, weniger oder andere Risiken?
Die meisten Autounfälle beruhen auf menschlichem Versagen. Dies spricht auf den ersten Blick dafür, dass automatisierte Fahrzeuge sicherer sind als (allein) von Menschen gesteuerte: Automatisierte Fahrzeuge stehen nicht unter Alkohol oder Drogen einfluss, schlafen nicht ein, lassen sich nicht ablenken und halten Geschwindigkeitsbegrenzungen und Mindestabstände ein. Gleichzeitig eröffnet die Automatisierung aber auch neue Risikoquellen. Zwar können Fahrassistenzsysteme dem Fahrer viele Tätigkeiten abnehmen, die Menschen meist weniger gut gelingen. So etwa den optimalen Einsatz der Bremsen, das Halten der Spur oder die Abschätzung von Entfernungen zu anderen Verkehrsteilnehmern.
Andererseits beherrschen diese Systeme zumindest bislang noch nicht alle Fähigkeiten, über die ein erfahrener Autofahrer verfügt. Dies zeigt sich besonders, wenn in unübersichtlichen Situationen schnell reagiert und zwischen mehreren Gefahren abgewogen werden muss. Auch das beste Programm zur Steuerung von Fahrassistenzsystemen ist nicht dazu in der Lage, jede Fallkonstellation vorab zu regeln, die sich auf der Straße ergeben kann. Erschwerend kommt hinzu, dass Programme für eine weitgehende Automatisierung eine Vielzahl von Rechtsordnungen berücksichtigen müssen, da die Fahrzeuge regelmäßig grenzüberschreitend genutzt werden. Schon eine Vereinheitlichung der rechtlichen Vorgaben innerhalb der EU oder zwischen den US-Bundesstaaten ist schwierig, langwierig und wird wohl immer bruchstückhaft bleiben.
Weltweit erscheint eine solche Vereinheitlichung auf absehbare Zeit ausgeschlossen. Das Fahrzeug muss also erkennen, wenn es eine Staatsgrenze überfährt, und sein Verhalten der jeweiligen Rechtsordnung anpassen. Schließlich können Fehler der Programme zu Verkehrsunfällen führen, die es ohne die Nutzung von Fahrassistenzsystemen nicht gegeben hätte. Je stärker die automatisierten Fahrzeuge vernetzt sind, desto größer wird darüber hinaus der Einfluss von typischen Cyber-Risiken. So könnten etwa Hacker Zugriff auf den Bordcomputer erlangen und dadurch Unfälle verursachen. Oder aber Daten, die der Bordcomputer für die Steuerung des Fahrzeugs sammelt, könnten für Unbefugte zugänglich und von diesen missbraucht werden.
Verursachen automatisierte Fahrzeuge Unfälle, stellt sich die Frage, wer dafür haftet. An der Haftung des Fahrzeughalters ändert sich durch die Automatisierung des Fahrzeugs nichts. Daneben tritt jedoch bei fehlerhaft arbeitenden Fahrassistenzsystemen die Haftung des Herstellers. Fälle, in denen der Autohersteller nach Unfällen haftbar gemacht wurde, hat es zwar schon immer gegeben. Besondere Bedeutung kommt einer solchen Produkthaftung zu, wenn die Haftpflichtdeckung des Fahrzeughalters unzureichend ist, wie es etwa bei schweren Unfällen in den USA nicht unwahrscheinlich ist. Oder aber, wenn es wegen Fehlern bei einer größeren Zahl von Fahrzeugen zu einer Reihe von gleichartigen Unfällen kommt. Man kann aber davon ausgehen, dass bei fortschreitender Verbreitung von Fahrassistenzsystemen die Hersteller nach Unfällen weltweit häufiger als bisher Haftungsansprüchen ausgesetzt wären.
Anpassung der Sorgfaltspflichten
Solange Fahrzeuge nicht vollständig automatisiert fahren oder zumindest die Anwesenheit eines menschlichen Fahrers im Fahrzeug vorgeschrieben ist, erfordern die neuen Techniken eine Anpassung der Sorgfaltspflichten des Fahrers: Wann ist es fahrlässig, ein verfügbares Fahrassistenzsystem nicht zu nutzen? Und in welchen Situationen ist es fahrlässig, wenn der Fahrer Entscheidungen dem System überlässt und nicht selbst aktiv wird? Diese Fragen dürften auf Jahre hinaus zu Unsicherheiten führen. Denn die Entscheidung, wann ein bestimmtes Verhalten als fahrlässig zu bewerten ist, lässt sich wegen der Fülle möglicher Fallkonstellationen nicht annähernd vollständig gesetzlich regeln. Vielmehr handelt es sich dabei zwangsläufig um Richterrecht, das sich erst allmählich entwickeln kann, wenn hinreichend viele Fallvarianten von oberinstanzlichen Gerichten entschieden wurden.
Güterabwägung durch den Bordcomputer
Rechtlich problematisch ist auch die Programmierung der Fahrassistenzsysteme für Situationen, in denen ein Unfall unvermeidlich erscheint. Hier muss oft in kürzester Zeit zwischen zwei Risiken abgewogen und eine Entscheidung getroffen werden. Ein menschlicher Fahrer handelt dabei intuitiv, das Fahrassistenzsystem muss für solche Fälle vorab programmiert werden. Das ist einfach, wenn ein Blechschaden gegen ein Menschenleben abgewogen werden muss. Aber was, wenn das Fahrassistenzsystem entscheiden muss, ob das Fahrzeug mehrere Fußgänger überfährt oder den von ihm transportierten Menschen der Gefahr einer schweren Verletzung aussetzt?
Haftung bei Zweckentfremdung
Vor allem in sehr klagefreudigen Rechtsordnungen wie den USA dürften auch weitere rechtliche Aspekte an Bedeutung gewinnen: Ein automatisiertes Fahrzeug soll den Fahrer entlasten und ihm helfen. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass es sich merkt, welche Ziele der Fahrer normalerweise ansteuert und welche Gewohnheiten er hat. Was aber, wenn der Fahrer das Fahrzeug zu illegalen Zwecken nutzen will? Oder wenn das Fahrzeug gesundheitsschädliche oder illegale Gewohnheiten des Fahrers unterstützt, indem es etwa einen Alkoholiker darauf aufmerksam macht, dass sich ein Geschäft für alkoholische Getränke in der Nähe befindet?
Die wichtigsten rechtlichen Hindernisse für automatisierte Fahrzeuge werden in den nächsten Jahren beseitigt. Trotzdem wird wohl nie alles, was technisch möglich ist, auf öffentlichen Straßen uneingeschränkt zulässig sein. Gerade in der Anfangszeit wird es zudem bei Unfällen mit automatisierten Fahrzeugen ein erhöhtes Maß an Rechtsunsicherheit geben. Allerdings dürften sich die Einführung und Verbreitung automatisierter Fahrzeuge über viele Jahre erstrecken. Technische Gründe, die mit dieser Technik verbundenen Kosten und nicht zuletzt die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung sprechen gegen eine rasche Umsetzung. Gesetzgeber und Rechtsprechung haben also genug Zeit, sich mit den Rechtsproblemen, die mit automatisierten Fahrzeugen verbunden sind, zu befassen und ihre Lösung vorzubereiten. Wichtig ist, dass auch die Versicherungswirtschaft rechtzeitig das nötige Knowhow aufbaut, um angemessen auf diese Entwicklung reagieren zu können.