
Neue Piratenhochburg im Westen Afrikas
Während sich die Lage vor den Küsten Somalias zu entspannen scheint, mehren sich im Golf von Guinea die Übergriffe. Während vor Somalia Schiffsentführungen mit Lösegeldforderungen im Vordergrund stehen, konzentrieren sich die westafrikanischen Piraten mehr auf die Ladung. Ein Vergleich der beiden Risikogebiete.
Der Golf von Guinea: Mit großer Gewaltbereitschaft erbeuten Piraten Schiffsladungen und Wertgegenstände oder verschleppen Besatzungsmitglieder ins Landesinnere. Sie konzentrieren sich auf Versorgungsschiffe der vorgelagerten Ölbohrplattformen oder lauern beladenen Schiffen in Hafennähe auf. Auch Geiselnahmen kommen neuerdings vor.
Anders als vor Somalia, wo ganze Schiffe mitsamt der Crew als Geiseln genommen werden, verschleppen die Piraten an der Westküste die Besatzungsmitglieder an Land und fordern Lösegeld. Schiffsentführungen mit Lösegeldforderungen kamen in diesen Gewässern bisher noch nicht vor. 27 erfolgreiche Angriffe ereigneten sich 2012 vor den Küsten Nigerias. 61 Geiseln wurden genommen, vier Menschen getötet.
Bis Ende Mai 2013 zählte das International Maritime Bureau (IMB) bereits 19 weitere Übergriffe. Man geht davon aus, dass aufgrund der anhaltenden Rohölkonflikte und des florierenden Schwarzmarkts in der Region nur ein Bruchteil der Übergriffe offiziell bekannt wird. Das IMB schätzt die tatsächliche Zahl auf das Dreifache der gemeldeten Vorkommnisse. Bereits 2011 hat Lloyd’s of London Nigeria, Benin und die benachbarten Gewässer in die höchste Gefahrenkategorie für Schifffahrt eingestuft.

Ursache: schwere soziale Missstände
Trotz des Reichtums an Rohstoffen herrschen in Nigeria schwere soziale Missstände. Zwei Drittel der Bevölkerung leben in Armut. Die Ölpest im Nigerdelta zerstört Landwirtschaft, Aquakultur und Fischerei und entzieht den dort ansässigen Völkern ihre Lebensgrundlage. Das Militär und die Regierung schützen die großen Förderfirmen, die viel Geld ins Land bringen. Geld, von dem die Geschädigten kaum etwas sehen. Armut und politische Ungerechtigkeit bilden den Nährboden für Kriminalität und Gewalt.
Positive Entwicklung vor Somalia
Im Gegensatz zur Westküste Afrikas werden erfolgreiche Übergriffe vor Somalia seltener. Pottengal Mukundan, Direktor des IMB, warnt aber vor voreiligem Optimismus. Die sinkenden Zahlen seien eindeutig auf das Engagement der internationalen Marineeinheiten, den Einsatz bewaffneter Sicherheitskräfte an Bord und die Einhaltung der Best Management Praktiken nach BMP4 (Best Management Practices Version 4) zurückzuführen. Würde man die aufwendigen Sicherheitsvorkehrungen wieder reduzieren, befände man sich schnell wieder auf altem Niveau, so Mukundan.
Zwar geraten vor Somalia derzeit weniger Schiffe in die Gewalt von Piraten, wenn es aber dazu kommt, bewegen wir uns hier in einer ganz anderen Dimension: Die Besatzungsmitglieder müssen Folter, Verstümmelungen und monate- oder sogar jahrelange Gefangenschaft ertragen, bis das Lösegeld verhandelt und bezahlt ist. 2009 lag die Entführungsdauer im Schnitt bei 55 Tagen, 2012 waren es rund acht Monate. Die Lösegeldforderungen liegen immer häufiger im zweistelligen Millionen-Dollar-Bereich.
Versicherer haben sich auf die Risikosituation eingestellt
In der Warenversicherung werden die Versicherer bei hochwertigen Konsumgütern und Industrieanlagen, insbesondere im Falle der Mitversicherung von Delay in Start-up oder sonstigen Vermögensschäden, ebenfalls verstärkt bewaffnetes Begleitpersonal fordern. Der Markt für Kidnap & Ransom-Deckungen hat mit Sonderprodukten für Piraterie in den letzten Jahren kräftig zugelegt. „ERGO Spezialschutz Balance Protect“ zum Beispiel wird inzwischen auch von Reedereien genutzt, um im Falle einer Entführung die schnelle Erstversorgung traumatisierter Mitarbeiter abzusichern.
Langfristige Besserung der Situation liegt in weiter Ferne

- tkratz@munichre.com
