Mobilität und Transport

Die Digitalisierung macht es möglich: Künstliche Intelligenz am Steuer

Olli, der erste autonome, selbstfahrende Shuttle-Bus, kommt teilweise aus dem 3D-Drucker, erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 20 Stundenkilometern und befördert bis zu acht Fahrgäste. Er ist derzeit auf festgelegten Routen auf Universitäts-Campussen unterwegs – und sicher bald auch in so mancher Innenstadt. Revolution auf vier Rädern oder nur ein Hype?

18.04.2017

Wird Olli den Linienverkehr revolutionieren? 

Wolfgang Bern: In Deutschland ist Olli seit sechs Monaten auf dem Euref Campus in Berlin im Einsatz. Auf einem fünf Hektar großen Gebiet entsteht im Herzen von Berlin-Schöneberg ein Zukunftsort, bei dem energetisch optimierte Gebäude, ein lokales „Micro Smart Grid“ sowie geringe Betriebskosten durch Nutzung regenerativer Energien im Mittelpunkt der Entwicklung stehen. Da sich neben der TU Berlin auch international renommierte Unternehmen angesiedelt haben, gehe ich davon aus, dass sich dort täglich zwischen 1.500 und 2.000 Menschen auf den Straßen bewegen. Wir nutzen die auf dem Campus gesammelten Erfahrungen, um Olli für den Straßenverkehr fit zu machen.

Was macht eine künstliche Intelligenz zu einem guten Busfahrer? Wo sind ihre Grenzen?

Bern: Unser autonomes System ist dem Menschen in der Reaktionszeit überlegen. Mit der Objekterkennung gibt es allerdings noch Probleme: So erkennt kein mir bekanntes autonom fahrendes Fahrzeug einen offenen Kanaldeckel und würde einfach dort hineinfahren. Es gibt leider nach wie vor viele solcher Beispiele.

Wie steht es um die sozialen Fähigkeiten von Olli?

Bern: Unser Partner bei diesem Projekt ist der IT-Konzern IBM. Olli kommuniziert über ein Interface mit dessen Supercomputer Watson, der die Sensordaten auswertet. Das autonome System kann einfache technische Fragen beantworten – etwa nach dem Ladestand der Batterie. Darüber hinaus können Empfehlungen zu nahegelegenen Restaurants oder Sehenswürdigkeiten abgerufen werden.

In welchen Situationen müssen Menschen eingreifen? 

Bern: Grundsätzlich müssen Menschen immer dann eingreifen, wenn die Software eine bestimmte Situation – noch – nicht abbilden kann. Ein alltägliches Beispiel: Fällt ein Blatt von einem Baum, nimmt Olli dieses als Hindernis wahr. Er erkennt aber nicht, ob es ein Blatt, ein Ziegelstein oder ein über die Straße krabbelndes Baby ist. Ganz ohne Sicherheitsfahrer geht es also noch nicht. Ein sogenannter Teleoperator in der Betriebszentrale kann aus der Distanz jederzeit eingreifen und den Bus stoppen.

Auch wenn automatisierte Fahrzeuge Unfälle verursachen, stellt sich die Frage, wer dafür haftet. 

Stefan Schulz: In Europa haftet in der Regel derjenige, der das Fahrzeug in Betrieb genommen hat – also der Fahrzeughalter. Daran wird auch die fortschreitende Automatisierung erst einmal nichts ändern. Daneben tritt bei fehlerhaft arbeitenden Fahrassistenzsystemen automatisch die Haftung des Herstellers in Kraft. Auch das ist nicht neu. Doch wir müssen davon ausgehen, dass mit der Verbreitung von Fahrassistenzsystemen die Hersteller nach Unfällen überall auf der Welt häufiger als bisher Haftungsansprüchen ausgesetzt sein werden. Noch hat Olli in Deutschland keine Straßenzulassung. Bis es soweit ist, wird seine Geschwindigkeit auf 6 km/h gedrosselt. ERGO und Local Motors haben für den Einsatz in Berlin daher lediglich eine Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen. Sobald die Straßenzulassung vorliegt, wird über eine entsprechende Kfz-Haftpflichtversicherung verhandelt.

Olli soll ja in verschiedenen Ländern – USA, Deutschland, Nordische Länder – eingesetzt werden. Verlangt die jeweilige Rechtlage nach besonderen national zugeschnittenen Versicherungsprogrammen?

Schulz: Absolut. Die Haftungsregelungen variieren von Markt zu Markt. In den USA sind die Mindestdeckungssummen im Vergleich zu Europa recht niedrig, daher wird oft das Produkthaftungsthema diskutiert. In Europa sind zwar die Deckungssummen höher, allerdings gibt es etwa in Großbritannien für Kraftfahrzeuge derzeit noch keine Gefährdungshaftung, wie z.B. in Deutschland. Allerdings wird in Großbritannien gerade an einer Lösung hierfür gearbeitet. Gesetzgeber und Rechtsprechung werden sich in den kommenden Jahren mit vielen offenen Problemen befassen und entsprechende Lösungen vorbereiten müssen – national und länderübergreifend. Parallel dazu wird die Versicherungswirtschaft das nötige Know-how aufbauen, um angemessen auf neue Entwicklungen reagieren zu können. Darüber hinaus müssen sich Legislative und Versicherungswirtschaft mit einem eventuellen Anstieg von Terrorrisiken beschäftigt. Dazu könnte es durchaus kommen – etwa wenn in öffentlichen Verkehrsmitteln niemand mehr auf zurückgebliebene Gegenstände achtet. 

Bern: Auch nach meiner Erfahrung variieren die Anforderungen in den Märkten. Noch ist es sehr schwer, alle nötigen Parameter unter einen Hut zu bringen. 

Statement von Mike Scrudato zum amerikanischen Markt

Richten wir den Blick in die Zukunft: Wie hoch wird in 2030 Jahren der Anteil an selbstfahrenden Fahrzeugen in unseren Städten sein? Und wie wird sich die Sicherheitssituation dadurch verändern?

Schulz: Ich erwarte, dass im Jahr 2030 rund 50 Prozent aller Fahrzeuge zumindest teilautonom – also mit Hilfe eines Abstands-Regel-Tempomaten oder Spurhalte-Assistenten – fahren werden. Die Vollautonomie wird außerhalb speziell abgeschirmter Strecken – wie etwa auf Flughäfen oder großen Fabrikgeländen – sicher noch 20 Jahre länger auf sich warten lassen. Die Sicherheit auf den Straßen erhöht sich dadurch nicht unbedingt. Schon in der Projektphase kam es immer wieder vor, dass unvernünftige Verkehrsteilnehmer direkt vor Olli auf die Straße sprangen, nur um zu sehen, ob er auch wirklich rechtzeitig anhält. 

Bern: Ich gehe davon aus, dass es noch mindestens ein Jahrzehnt dauert, bis autonome Fahrzeuge im Straßenverkehr unterwegs sind. Grund dafür ist weniger die Technologie als die Akzeptanz und Lernfähigkeit der Bevölkerung. Um nur ein Problem kurz anzusprechen: Wie etwa kommuniziert ein autonomes Fahrzeug mit einem Passanten, der einen Zebrastreifen überqueren möchte? Hierzu gibt es erste Vorschläge und Lösungsmodelle. Doch bevor alle Verkehrsteilnehmer neue Regeln lernen können, muss sich die Industrie auf einen Standard einigen. Das wird seine Zeit brauchen.

Munich Re Experten
Stefan Schulz
Stefan Schulz
Senior Executive Consultant
Global Consulting
Wolfgang Bern
Wolfgang Bern
Director of Operations Local Motors, Inc.
Mike Scrudato
Strategic Innovation Leader, Munich Reinsurance America, Inc.
Drucken