
Entlastung für das Nadelöhr
Nördlich von Istanbul entsteht die dritte überirdische Querung des Bosporus. Das Bauwerk ist mit einer Spannweite von mehr als 1.400 Metern die längste kombinierte Hänge- und Schrägseilbrücke der Welt. Munich Re begleitet das ehrgeizige Projekt als federführender Rückversicherer.
Das Marmara-Gebiet ist der kleinste, aber bevölkerungsreichste Landesteil der Türkei und zugleich das wirtschaftliche Zentrum. Die dynamische Entwicklung der Region hat das Verkehrsnetz an seine Limite gebracht. Vor allem auf den beiden Bosporus-Brücken, die in der Millionenmetropole Istanbul seit 1973 bzw. 1988 Europa mit Asien verbinden, ist die Staugefahr besonders groß. Laut türkischem Verkehrsministerium werden dort jeden Tag im Durchschnitt 400.000 Fahrzeuge gezählt, Tendenz steigend.
Abhilfe soll der 118 Kilometer lange Northern Marmara Motorway schaffen, eine Autobahn, die den Fernverkehr in weitem Bogen um das Zentrum von Istanbul herumführt. Es ist ein Megaprojekt, das aufgrund der Topografie zahlreiche Tunnels und Brücken erfordert. Allein die Erdbewegung auf der gesamten Trasse übersteigt die Menge, die beim Bau des Panamakanals angefallen ist. Die Strecke verläuft nördlich der bisherigen West-Ost-Autobahn und umfasst auch eine dritte Querung des Bosporus. Die Yavuz-Sultan-Selim-Brücke wird die Meerenge nahe der Mündung ins Schwarze Meer von Garipçe in Europa nach Poyrazköy in Asien überspannen. Der Bau stellt aufgrund seiner Größe und Komplexität hohe Anforderungen an die Ingenieurskunst.
Verwirklicht wird der Marmara Motorway im Rahmen eines sogenannten Betreibermodells (Build Operate Transfer, BOT), bei dem ein privater Konzessionsnehmer Projektmanagement, Planung, Bau, Finanzierung und den Betrieb übernimmt. Den Zuschlag dazu erhielt ein Joint Venture bestehend aus der türkischen Baufirma İÇTAŞ und dem italienischen Baukonzern Astaldi. Grundsteinlegung war im Mai 2013, die Eröffnung ist für Sommer 2016 vorgesehen. Die Kosten für das ambitionierte Vorhaben werden sich auf etwa 4,5 Milliarden Dollar belaufen.
Munich Re fungiert bei dem Projekt als führender Versicherer
Das Projekt wartet mit einer Reihe von Superlativen auf und stellte an das Underwriting besondere Anforderungen: Da ist zunächst die erhebliche Erdbebengefahr, der auch die dritte Bosporusbrücke ausgesetzt ist. Sie liegt lediglich rund 35 Kilometer von der Nordanatolischen Verwerfung entfernt, wo die anatolische und die eurasische Kontinentalplatte aufeinanderstoßen. In der Vergangenheit kam es in der gesamten Region immer wieder zu teilweise verheerenden Erdbeben.
Mit einer Spannweite von mehr als 1.400 Metern wird das Bauwerk die längste Hänge- und Schrägseilbrücke der Welt werden

Der Mittelteil der Brücke entsteht aus insgesamt 59 Stahlsegmenten, die 59 x 24 Meter groß sind und bis zu 923 Tonnen wiegen. Sie sind in der Art eines Flugzeugflügels stromlinienförmig gestaltet, was bei stärkerem Wind die Stabilität erhöht. Nicht zu vernachlässigen bei einem Bauwerk dieser Größe sind Belastungen der Struktur durch Temperaturschwankungen. Dehnungsfugen auf beiden Festlandseiten stellen sicher, dass die Fahrbahn bei Hitze und Kälte ausreichend arbeiten kann.
Die in einem rund 50 Kilometer entfernten Stahlbaubetrieb vorgefertigten Segmente werden – sofern der Wellengang unter einem Meter bleibt – auf Pontons zur Baustelle transportiert. Weil sich die Navigation aufgrund der Strömung und des häufig auftretenden Winds schwierig gestaltet, muss dazu die Schifffahrt auf dem Bosporus, einer der befahrensten Wasserstraßen der Welt, jeweils kurzzeitig unterbrochen werden.
Mithilfe eines speziellen Derrick-Krans, der auf der Brücke verankert ist und mit den Segmenten wandert, werden die einzelnen Bauteile dann auf Fahrbahnhöhe gehoben. Gearbeitet wird im sogenannten Vorbauverfahren von beiden Pfeilern, und es dauert durchschnittlich ca. eine Woche, um ein Segment zu platzieren und zu verschweißen. Millimetergenau werden die Elemente rundum in einem Schutzzelt aneinandergefügt und die Nähte zur Qualitätssicherung geröntgt. Die letzten 17 Mittelsegmente –die, die am Tragkabel hängen – werden mithilfe eines Litzenhebesystems (Strand Jack) positioniert und dann verschweißt.
Das Pricing – eine Herausforderung
Munich Re hat dazu spezielle Rechenmodelle entworfen und empirisch mit Schadendaten unterfüttert. Das Ergebnis unserer jahrzehntelangen Erfahrung ist das MR Expert Tool, mit dem sich auch Spitzenrisiken abbilden lassen. Es hat bereits bei anderen Infrastrukturprojekten wie der Erweiterung des Panamakanals oder dem ersten Straßen- bzw. Eisenbahntunnel unter dem Bosporus, die Munich Re begleitet hat, wertvolle Dienste geleistet.
Unsere schlanke, flexible und innovationsstarke Einheit hat sich dabei als zuverlässiger Partner positioniert, der Lösungen für die Marktbedürfnisse bietet. Der große Vorteil liegt in der Kombination aus dem Knowhow unserer Experten mit der starken finanziellen Solidität von Munich Re.
Der Bau des Northern Marmara Motorway ist bislang ohne größere Probleme verlaufen. Wir sind zuversichtlich, dass das mit drei Jahren äußerst knappe Zeitfenster eingehalten und das Projekt planmäßig 2016 abgeschlossen werden kann. Das wäre nicht zuletzt das Verdienst der Ingenieure und Bauarbeiter, die mit hohem Einsatz, viel Liebe zum Detail und Einfallsreichtum unvorhergesehene Probleme meisterten.

- hreiner@munichre.com