
Schottland lässt die Büchse der Pandora zu
Schottland hat am 18. September entschieden, Teil Großbritanniens zu bleiben – aus ökonomischer Sicht eine gute Entscheidung. Michael Menhart, Chefvolkswirt von Munich Re, skizziert die Risiken, die ein Ja zur Unabhängigkeit mit sich gebracht hätten.
Unabsehbare ökonomische Risiken
© Munich Re
Ohne die Rückendeckung einer größeren Familie, sei es Großbritannien oder die Europäische Union, wäre es für kleine, neuerdings autarke Staaten ungleich schwerer.Michael MenhartHead of Economic Research
Zudem hätten bestehende Vertragsbeziehungen zwischen schottischen und britischen Unternehmen an eine neue Währung angepasst werden müssen. Niemand weiß, wie viele in Schottland beheimatete Unternehmen im Ernstfall schnell die Zelte in Schottland zugunsten des Finanzzentrums London abgebrochen hätten. Als Fraglich wäre zudem gewesen, ob Schottland sich angesichts seiner demographischen Entwicklung seinen Sozialstaat ohne Transferzahlungen aus London weiter hätte leisten können. Für den Rest Großbritanniens wäre eine Abspaltung Schottlands ökonomisch und politisch ebenfalls ein Kraftakt mit ungewissen Folgen gewesen. Im britischen Staatshaushalt hätten Steuereinnahmen aus Öl und Gas gefehlt, London hätte im Gegenzug allerdings auch geringere Ausgaben gehabt, weil Transferleistungen in Richtung Schottland weggefallen wären. Eine Abspaltung hätte auch die politischen Gewichte in Europa verändert, und dies kaum zugunsten von London.
Separatistische Strömungen auf dem Vormarsch
Ist das ein gefährlicher Trend hin zu einer Desintegration in Europa? Nicht unbedingt: Autonomiebestrebungen einzelner Regionen und die zunehmende wirtschaftliche und politische Bedeutung der EU widersprechen sich nicht zwingend. In dem Zuge, in dem die Verantwortung der Europäischen Union steigt, nimmt der Einfluss der Mitgliedsländer ab. Der Wunsch nach Eigenständigkeit richtet sich ja meist gegen die Zentralregierungen der Nationalstaaten. Ein Austritt unabhängiger Region aus der EU steht nicht auf dem Programm. Kein Wunder, denn im „Schoße eines starken Verbunds“, in dem es keine Diskussionen mehr um Binnenmarkt oder Zölle gibt, kann man sich Autonomie eher leisten. Aber Schottland wäre nicht automatisch Mitglied der Europäischen Union geworden. Um ihr beitreten zu können, hätten alle anderen Länder zustimmen müssen. Das wäre aber alles andere als sicher gewesen. Denn Staaten, die von ähnlichen Zentrifugalkräften betroffen sind, hätten wenig Anreiz gehabt, den Schotten den Weg in die Unabhängigkeit leicht zu machen – denn damit wäre die „Büchse der Pandora“ geöffnet gewesen. Ohne die Rückendeckung einer größeren Familie, sei es Großbritannien oder die Europäische Union, wäre es für kleine, neuerdings autarke Staaten ungleich schwerer. Zwar mögen kleine Einheiten in guten Zeiten alleine ganz ordentlich zurechtkommen, aber was passiert in schlechten Zeiten, wenn etwa Finanzkrisen toben?
Auch für den Rest Europas wäre es schwieriger gemeinsame Lösungen für zentrale Aufgaben zu finden: Regulierung, Energieversorgung, Migration, Außen- und Sicherheitspolitik, um nur die wichtigsten zu nennen. Das ist komplex genug mit 28 Mitgliedsländern und wird nicht leichter, wenn es mehr werden. Zurück zum Sport: Niemals würden Schotten, Nordiren, oder Waliser ihre eigenständigen Fußballverbände aufgeben. Aber: Bei den Olympischen Spielen in London 2012 belegte die gemeinsame Olympia-Mannschaft Großbritanniens im Medaillenspiegel Platz drei, weit vor allen anderen europäischen Nationen. Und zum Glück sieht es nun so aus als ob das britische Team weiter auf die Unterstützung durch schottische Athleten zählen kann.