
Naturkatastrophen
Ein starkes Christkind
2015 hat uns ein äußerst starkes El-Niño-Ereignis beschert. Die Auswirkungen waren vielerorts spürbar. Und starke Ereignisse könnten künftig häufiger auftreten.
02.03.2016
Das einst von den peruanischen Fischern „Christkind“ – El Niño – genannte Klimaphänomen entwickelte sich etwa ab März 2015 zu einem der stärksten seit 1950 registrierten Ereignisse. Misst man den ozeanischen Anteil dieses Phänomens und folgt dabei den wöchentlich über die sogenannte Niño-3.4-Region (siehe Seite 20/21) gemittelten Wasseroberflächentemperaturen, so lag die größte Abweichung vom Mittel der Klimareferenzperiode (1981 bis 2010) bis Jahresende 2015 bei 3,1 °C. Das ist mehr, als beim Ereignis 1997/98 überhaupt erreicht wurde, das als „Jahrhundert-El-Niño“ gilt.

Allerdings waren die mit den ozeanischen Veränderungen einhergehenden atmosphärischen Zirkulationsänderungen bei den starken Ereignissen 1982/83 und 1997/98 intensiver als im aktuellen Fall. El Niño ist ein Ozean und Atmosphäre koppelndes Klimaphänomen; daher macht es zur ganzheitlichen Erfassung der Intensität des Ereignisses am meisten Sinn, die diversen ozeanischen und atmosphärischen Größen in einem einzigen Index zusammenzufassen. Das wurde mit dem von Wolter und Timlin definierten Multivariaten ENSO-Index (MEI) versucht, in den der Luftdruck auf Meeresspiegelniveau, die Nord-Süd- und West-Ost-gerichteten Windkomponenten, die Meeresoberflächentemperatur, die oberflächennahe Lufttemperatur sowie die Wolkenbedeckung im Bereich des tropischen Pazifiks eingehen. Bei dieser Betrachtung zeigt sich, dass das El-Niño-Ereignis 2015 bis einschließlich Dezember als drittstärkstes Ereignis seit 1950 einzuordnen ist.

Bei El-Niño-Ereignissen wird typischerweise im östlichen äquatornahen Bereich des Pazifiks eine Entwicklung zu immer wärmerem Oberflächenwasser registriert, die gegen Jahresende ihren Höhepunkt erreicht. Dadurch verlagern sich die mit den warmen Wasseroberflächen assoziierten hochreichenden Regenwolken in zentrale und östliche Bereiche des äquatornahen Pazifiks. Somit wird es im Westen des tropischen Pazifiks, also an den Küsten von (Nord-)Ost-Australien bis Südostasien, eher anomal trocken, während es in zentralen und östlichen Teilen, bei Ecuador und Nordperu, eher anomal niederschlagsreich wird. Weitere typische Effekte haben wir bereits in Topics Geo 2014 beschrieben, das Sie in unserem Kundenportal connect herunterladen können. Nach der Phase des Anlaufens zum Höhepunkt („onset year“) folgt nach Beginn des neuen Jahres typischerweise eine Rückbildung zu neutralen Verhältnissen („decay year“). Typischerweise zeigen substanzielle El-Niño-Ereignisse im Sinne dieser Abfolge einen Höhepunkt in der Nähe des Jahreswechsels und ändern in nicht wenigen Fällen im „decay year“ das Vorzeichen, das heißt, sie werden in der zweiten Jahreshälfte zu La-Niña-Ereignissen, der kalten Schwester von El Niño. Dabei drehen sich die Effekte gegenüber El Niño gewissermaßen um: Unmittelbar vor die Küsten im Westen des tropischen Pazifiks treibt der Passatwind warmes Wasser, das dort – also im Nordosten Australiens, in Indonesien und in Südostasien – für verstärkte Niederschläge sorgt. Umgekehrt wird es über dem Osten des tropischen Pazifiks und den äquatornahen Küsten Südamerikas eher trocken, während es im Ozean deutlich abkühlt. Auch wenn zu Jahresbeginn 2016 noch unbekannt ist, ob diese Entwicklung zu La Niña kommen wird, so gibt es dafür doch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit.
Veränderte Wirbelsturmaktivität
Zu den prominenten Fernwirkungen bei starken El-Niño-Ereignissen, die auch 2015 erneut zu verzeichnen waren, gehört die veränderte Aktivität der tropischen Wirbelstürme je Ozeanbecken. Im Nordatlantik verringert sich typischerweise die Hurrikanaktivität, denn die atmosphärischen Bedingungen für Entstehung und Entwicklung tropischer Wirbelstürme sind besonders im tropischen Westen ungünstiger. Eine Ursache dafür sind verstärkte Scherwinde, die durch eine kräftigere nach Osten gerichtete Strömung in der Höhe und etwas verstärkte Passatwinde aus östlichen Richtungen nahe der Meeresoberflächen zustande kommen. Dort sinkt außerdem auch Luft aus der Höhe ab, was zur lokalen Erwärmung und Austrocknung führt und der Konvektion, einem Grundvorgang in der Physik tropischer Wirbelstürme, entgegenwirkt. Vor allem wegen dieser Effekte lag die Accumulated Cyclone Energy (ACE) in dieser Saison bei nur 60 Prozent des Mittels über die Klimareferenzperiode 1981 bis 2010. Hingegen ist die Aktivität starker Wirbelstürme im östlichen Nordpazifik außergewöhnlich hoch – ebenfalls ein typischer Effekt von El Niño. ACE lag dort bei 219 Prozent des Mittels der Normalperiode. Die Steigerung ist darin begründet, dass die Scherwinde bei substanziellen El-Niño-Episoden eher unterdurchschnittlich, die Meeresoberflächentemperaturen hingegen überdurchschnittlich sind. Beides fördert die Entwicklung starker Stürme. Ein ähnliches Ergebnis produzierten die El-Niño-Bedingungen auch im Westen des Nordpazifiks: Dort traten anomal viele starke Stürme auf, da ihre Entstehungsorte hin zum wärmeren Wasser nach Osten und näher zum Äquator verschoben waren. Dadurch zogen die Stürme länger über relativ warme Meeresoberflächen, wo sie unter geringeren Scherwinden große Intensitäten entwickeln konnten. In dieser Region lag ACE 2015 bei 161 Prozent des Mittels der Klimareferenzperiode 1981 bis 2010.
Markante Auswirkungen 2015
Das Video zeigt die Fernwirkungen in Bezug auf den regionalen Niederschlag, die bei einem typischen El-Niño-Ereignis von starker Intensität auftreten. Zusätzlich sind Schadenereignisse vermerkt, die diesen Kategorien entsprechen und bis Jahresende 2015 zu verzeichnen waren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich El-Niño-Fernwirkungen mit weiteren Klimaphänomenen, zum Beispiel den Phasen des Indian Ocean Dipole, überlagern können. Durch solche individuellen Bedingungen hat jedes El-Niño-Ereignis eine eigene Ausprägung. Eine Aggregierung der Schäden kann erst nach Beendigung des Ereignisses 2016 erfolgen.
Makroökonomisch beobachtet man bei starken El-Niño-Ereignissen, dass sich in einigen Ländern das reale BIP-Wachstum temporär signifikant verringert; Beispiele dafür sind etwa Indonesien, Südafrika und Australien. Einerseits ist dies zurückzuführen auf landwirtschaftliche Ertragseinbußen aufgrund von Hitze und Trockenheit – so sinken in Indonesien die Kaffee-, Kakao- und Palmölernten –, andererseits vermindern sich auch Produktion und Export von Nickel zur Stahlproduktion, da Wasserkrafterzeugung und Flusstransporte bei niedrigen Wasserständen eingeschränkt sind. In der Folge sind globale Preissteigerungen bei diversen Wirtschaftsgütern, etwa aus dem Nahrungsmittel- oder Metallbereich, zu verzeichnen. Allerdings gibt es auch Länder, deren BIP bei El-Niño-Ereignissen temporär verstärkt wächst, beispielsweise die USA. Gründe sind weniger Hurrikantreffer sowie veränderte Temperatur- und Niederschlagsverhältnisse, welche die landwirtschaftliche Produktion etwa bei Soja unterstützen. Auch eng mit den USA verflochtene Länder wie Kanada und Mexiko profitieren dann (Cashin et al., 2015).
Neben den dargestellten Schadenauswirkungen gab es auch bemerkenswerte weitere Effekte. Einer der wichtigsten ist, dass das El-Niño-Ereignis mit zur hohen globalen Mitteltemperatur des Jahres 2015 beigetragen hat, dem wärmsten Jahr seit Beginn der Messreihe. In ökologischer Hinsicht löste die starke Meereserwärmung laut der US-Behörde NOAA die bisher dritte globale Korallenbleiche aus, die nach 1998 und 2010 registriert wurde. Unter dem Umweltstress erhöhter Temperaturen scheiden Korallen Algen aus, die normalerweise symbiotisch in ihrem Gewebe leben, und erscheinen dadurch fahl. Zugleich verlieren sie mit den Algen ihre Hauptnahrungsquelle und werden krankheitsanfällig. Dauert dieser Zustand über Monate an, sterben die Korallen ab. Die Riffstrukturen degradieren dann sehr schnell, die Küstenschutzfunktion gegenüber Stürmen geht rapide zurück, die Habitatfunktion für Fische und andere ökologisch und wirtschaftlich wichtige Spezies verschwindet, und die lokalen Tourismuseinrichtungen verlieren Gäste. Das Ereignis begann bereits zur Jahresmitte 2014 im Nordpazifik und wirkte sich dann im Südpazifik und im Indischen Ozean aus. Stark ist inzwischen Hawaii betroffen, aber auch für die Karibischen Inseln besteht ein Risiko. Die Forschung geht davon aus, dass sich dieses Ereignis im Jahr 2016 fortsetzt.
Neben den dargestellten Schadenauswirkungen gab es auch bemerkenswerte weitere Effekte. Einer der wichtigsten ist, dass das El-Niño-Ereignis mit zur hohen globalen Mitteltemperatur des Jahres 2015 beigetragen hat, dem wärmsten Jahr seit Beginn der Messreihe. In ökologischer Hinsicht löste die starke Meereserwärmung laut der US-Behörde NOAA die bisher dritte globale Korallenbleiche aus, die nach 1998 und 2010 registriert wurde. Unter dem Umweltstress erhöhter Temperaturen scheiden Korallen Algen aus, die normalerweise symbiotisch in ihrem Gewebe leben, und erscheinen dadurch fahl. Zugleich verlieren sie mit den Algen ihre Hauptnahrungsquelle und werden krankheitsanfällig. Dauert dieser Zustand über Monate an, sterben die Korallen ab. Die Riffstrukturen degradieren dann sehr schnell, die Küstenschutzfunktion gegenüber Stürmen geht rapide zurück, die Habitatfunktion für Fische und andere ökologisch und wirtschaftlich wichtige Spezies verschwindet, und die lokalen Tourismuseinrichtungen verlieren Gäste. Das Ereignis begann bereits zur Jahresmitte 2014 im Nordpazifik und wirkte sich dann im Südpazifik und im Indischen Ozean aus. Stark ist inzwischen Hawaii betroffen, aber auch für die Karibischen Inseln besteht ein Risiko. Die Forschung geht davon aus, dass sich dieses Ereignis im Jahr 2016 fortsetzt.
Starke El-Niño-Ereignisse künftig häufiger
Starke El-Niño-Ereignisse wie das von 2015/16 könnten im Laufe dieses Jahrhunderts deutlich häufiger auftreten als im vergangenen, falls sich die bisherige Entwicklung des Klimawandels („Business as Usual“-Szenario) fortsetzt. Dies zeigte eine Studie führender ENSO-Forscher (Cai et al., 2014). Intensive El-Niño-Ereignisse, die im Zeitraum 1891 bis 1990 etwa alle 20 Jahre oder seltener auftraten, würden sich nach den Projektionen in der Periode 1991 bis 2090 verdoppeln. Der Hauptgrund liegt in der relativ starken Erwärmung des östlichen äquatornahen Pazifiks unter fortgesetztem Klimawandel. Dadurch kann die Erwärmung, die für die Ausbildung einer starken El-Niño-Phase dort notwendig ist, immer leichter erreicht werden. Als Kriterium für ein extremes El-Niño-Ereignis wird hier nicht die Höhe der Anomalie der Meeresoberflächentemperatur verwendet, sondern die damit verbundene Anomalie des Niederschlags in der Niño-3-Zone in Höhe von mindestens fünf Millimetern pro Tag. Mit diesem Effekt in der Atmosphäre sind auch die mit extremen Ereignissen verbundenen atmosphärischen Fernwirkungen berücksichtigt. Sollten in der Folge der Beschlüsse von COP21 in Paris die Emissionen unterhalb des „Business as Usual“-Szenarios ansteigen, so würde damit freilich auch der Anstieg der extremen El-Niño-Ereignisse weniger stark ausfallen.
Bedingte Vorhersagbarkeit
Für das Risikomanagement ist bedeutsam, dass eine Klimavariabilität wie El Niño in Grenzen mit einem Vorlauf von etwa sechs bis acht Monaten vorhersagbar ist (siehe dazu Topics Geo 2014). Die Genese dieser Ereignisse hängt allerdings von teilweise schwer vorhersagbaren Vorgängen auf kürzeren Zeitskalen ab. Die Modelle sind daher ungenau, was etwa die zeitliche Dynamik oder die maximal erreichte Intensität angeht. Seit etwa Ende April 2015 wies das Ensemblemittel der vom International Research Institute for Climate and Society gelisteten internationalen Vorhersagemodelle eine maximale erwartete Intensität nahe dem oberen Ende des moderaten Bereichs (Niño-3.4-Index ≈1,5) aus, ab Mai 2015 wurde schließlich ein starkes Ereignis vorhergesagt, wenn auch von viel geringerer Amplitude als dann tatsächlich eingetreten.
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Munich Re Experten

Eberhard Faust
Forschungsleiter Klimarisiken und Naturgefahren
Munich Re (bis 01.11.2020)
- efaust@munichre.com