Stürme

Erfahrungsbericht aus Puerto Rico: Wiederaufbau dauert an

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, seit Hurrikan Maria über Puerto Rico stürmte, große Teile des Landes verwüstete und Schäden in Milliardenhöhe verursachte. Und immer noch sind die Wiederaufbauarbeiten in Gange. Gerhard Loos, Key Case Claims Manager, war Ende April vor Ort, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Zudem sprach er mit betroffenen Kunden, unter ihnen Carlos Rubio, State Historic Preservation Officer von Puerto Rico mit Sitz in der Hauptstadt San Juan. Ein Schadenereignis, zwei Perspektiven.

14.09.2018

Gerhard Loos: „Eine effiziente Schadenregulierung war kaum möglich.“

„Am 20. September 2017 traf Hurrikan Maria mit der Stärke vier, der zweithöchsten Kategorie, Puerto Rico und überquerte die Insel von Südost nach Nordwest. Das Windfeld war so groß, dass es fast die ganze Insel umfasste. Die Schäden waren enorm. Verstärkt wurde das Ausmaß durch Hurrikan Irma, der kurz zuvor zwar nicht direkt auf Puerto Rico getroffen war, aber zwei Tage lang extreme Regenfälle auf die Insel gebracht und den Untergrund aufgeweicht hatte.“

„Als ich am 16. April in der Hauptstadt San Juan eintraf, waren die Schäden immer noch unübersehbar. Vor allem starke Zerstörungen des Stromnetzes, das fast ausschließlich auf Freileitungen basiert, hatte den Wiederaufbau von Gebäuden und Infrastruktur verzögert. Während im April rund 90 Prozent des Verteilernetzes wieder in Betrieb waren, war noch im Dezember, rund drei Monate nach dem verheerenden Hurrikan, nur wenig mehr als die Hälfte der Haushalte wieder mit Strom versorgt.“

„Das erschwerte nicht nur den Aufbau, sondern auch die Schadenregulierung, denn die starke Verzögerung der Reparaturarbeiten zog weitere Folgeschäden, beispiels-weise durch eindringendes Wasser, nach sich. Hinzu kam, dass die Dienste von so genannten „Restoration Companies“ zu wenig bekannt waren, die durchnässte Geräte schnell reparieren und säubern, wodurch Folgeschäden verhindert werden können. Ein solches Unternehmen kam samt seiner Ausrüstung für die Beseitigung von Wasserschäden kurz nach dem Hurrikan ins Land. Die Generatoren wurden aber am Flughafen für andere Zwecke beschlagnahmt.“

Keine Sonderfristen durch die Behörden

„Nicht zuletzt waren auch wir als Versicherer mit administrativen Herausforderungen und Einschränkungen durch die zuständigen Behörden konfrontiert. Generell gibt es in Puerto Rico einen großen Mangel an lokalen Schadenregulierern für ein derart großes Schadenereignis. Deswegen sollten Experten aus den USA zur Unterstützung hinzugezogen werden. Da dort jedoch kurz zuvor die Hurrikane Harvey und Irma gewütet hatten, waren die nordamerikanischen Schadenregulierer nahezu vollständig in den betroffenen Gebieten im Einsatz und standen für eine Unterstützung in Puerto Rico nicht zur Verfügung. Die Suche nach dringend benötigten Sachverständigen dauerte Wochen. Dies auch, weil ausländische, nicht in Puerto Rico registrierte Schadenregulierer zunächst keine Arbeitserlaubnis erhielten. Erst ab Ende 2017 stellten die Behörden individuelle Arbeitszulassungen für einen begrenzten Zeitraum von sechs Monaten aus.“

„Zudem war die ausgegebene Regulierungsfrist nicht, wie in anderen Ländern nach einem großen Schadenereignis üblich, an die Ausnahmesituation nach Maria angepasst worden. Die massiven Schäden innerhalb von 90 Tagen zu regulieren und zu entschädigen, erwies sich für die Versicherungsgesellschaften als unrealistisch. Um Strafen zu entgehen, schlossen diese zum Teil ihre Schäden vor Ablauf der Frist, um sie danach erneut zu eröffnen. Bis Ende Januar waren etwa 230.000 Schäden registriert. Das entspricht bei weitem nicht der tatsächlichen Schadensmenge.“

Erfahrungen aus Workshop von Munich Re half nach Hurrikan Maria

„Trotz der Herausforderungen vor Ort gab es auch ein erfreuliches Feedback von einer der größten Versicherungsgesellschaften in Puerto Rico: Diese hatte bereits 2011 an unserem Workshop „EQ Simulation“ teilgenommen, bei dem wir den Fall eines möglichen Erdbebens durchgespielt haben. Von dem Know-how konnte sie jetzt profitieren und trotz aller Schwierigkeiten schnell und effizient auf Schäden reagieren.“

 

Carlos Rubio: „Die Menschen passen jetzt mehr aufeinander auf.“
Carlos Rubio
„Anders als in Kuba oder der Dominikanischen Republik sind wir in Puerto Rico bisher lange von heftigen Hurrikanen verschont geblieben. Die letzten beiden Stürme, Hurrikan Hugo 1989 und Georges 1998, waren Stufe-3-Hurrikane, also schwächer als Maria. Der letzte große Hurrikan der zweithöchsten Stufe 4 lag sogar 85 Jahre zurück. Dementsprechend traf uns der Wirbelsturm Maria ziemlich unvorbereitet, auch wenn die Insel eigentlich mitten im Hurrikangebiet in der Karibik liegt. Aber die meisten Stürme in der Vergangenheit zogen eben an Puerto Rico vorbei.“

„Vor allem das Kommunikationsnetz im Land war nach dem Volltreffer in einem desolaten Zustand. In ganz Puerto Rico gab es kein Fernsehen, nur ein Radiosender funktionierte. Die Menschen außerhalb des Landes waren besser informiert als wir selbst. Dieser Zustand zog sich über Wochen, in dem ein Großteil der Bevölkerung praktisch nicht wusste, was genau im Land passiert war. Viele wussten auch nicht, wie es ihrer Verwandtschaft ergangen war. Hinzu kam die ständige Angst, die nach Maria wie ein Schatten über dem Land lag. Fiel wieder einmal der Strom aus, bildeten sich sofort lange Schlangen vor den Lebensmittelgeschäften und Tankstellen. Das war sogar im April so, also mehr als ein halbes Jahr nach dem Sturm.“
Auch auf der Insel St. Maarten verursachte Hurrikan Maria schwere Schäden © Munich Re
Auch auf der Insel St. Maarten verursachte Hurrikan Maria schwere Schäden

Die Menschen helfen sich gegenseitig

„Anderseits habe ich festgestellt, dass die Menschen im Land in den Tagen und Monaten nach dem Hurrikan näher zusammengerückt sind. Viele Ampeln waren nicht mehr in Betrieb. Und so hielten die Autofahrer an, um Fußgänger vorbeizulassen. Oder Passanten halfen, den Verkehr zu regeln. Das hat es vorher in Puerto Rico nicht gegeben. Als die Ampeln wieder Strom hatten, hat man gesehen, dass der Verkehr ohne die Ampeln sogar besser funktioniert hat. Auf dem Land kommen die Leute nun immer noch zusammen, um gemeinsame Mahlzeiten zuzubereiten. In den Gemeinden kooperieren die Menschen in vielfältiger Weise, indem sie sich bei Reparaturarbeiten helfen und die Aufgaben untereinander aufteilen.“

„Nach dem Hurrikan bot uns eine Regierungsbehörde an, in ein anderes Gebäude mit Strom und Klimaanlage zu ziehen. Da wir jedoch auf unsere Archive angewiesen sind, kam das für uns nicht in Frage. Wir haben uns dann den Umständen angepasst und beispielsweise Briefe per Hand geschrieben. Mittlerweile geht alles wieder. Wir haben Glück gehabt, das Gebäude ist weitgehend intakt geblieben. Die Abwicklung der Schäden kommt gut voran.“

Beinahe ein Jahr nach Maria

„Jetzt, mitten in der nächsten Hurrikansaison, hat sich das Leben ganz überwiegend wieder normalisiert. Strom und Kommunikationsnetz sind wieder da. Allerdings ist das Stromnetz zum größten Teil noch sehr anfällig. In der Zwischenzeit hat die Regierung die Anstrengungen verstärkt, die Insel mit einer modernen und widerstandsfähigeren Infrastruktur auszustatten. Das heißt, nicht nur Strom- und Kommunikationsnetze, sondern auch Gebäude und Verkehrsinfrastruktur.“

„Die Menschen haben aus der Erfahrung gelernt. Nachbarn arbeiten zusammen, um in ihren Kommunen die Resilienz zu stärken. In einigen abgelegeneren Bergregionen gelang es, eine Versorgung von Gebäuden mit Strom aus erneuerbaren Quellen aufzubauen, die als kommunale Zentren über Kühlschränke und andere Geräte zur gemeinsamen Nutzung verfügen. Vor der neuen Hurrikansaison haben viele Menschen ganz individuell Vorsorgemaßnahmen getroffen.“

„Maria war sicher ein Weckruf. Auch wenn man nie richtig wissen kann, wann und wo Hurrikane auftreffen: Das nächste Mal sind wir hoffentlich besser vorbereitet.“