
Hurrikan Dorian: Das Monster hat sich einfach nicht weiter bewegt
Hurrikan Dorian zerstörte im letzten Jahr 70 Prozent der Insel Abaco, Bahamas. Es war der stärkste Sturm der vergangenen 100 Jahre.
„Das Bild, das sich uns bot, war erschreckend. Alles war zerstört: Brücken, Straßen, Strommasten, ganz zu schweigen von den Gebäuden“, berichtet Joachim Pawellek. „In den vergangen 100 Jahren gab es nur einen vergleichbar starken Sturm – der ‚Labour-Day-Hurrikan‘, der auf 1935 Miami traf“, ergänzt Sturm-Modellierer Thomas Hofherr. Dorian hatte die höchste Kategorie fünf. „Aber bedenkt man, dass die höchste Kategorie bei 137 Knoten (rund 254 Stundenkilometer) beginnt, war Dorian mit 160 Knoten (knapp 300 Stundenkilometer) noch eine ganz andere Kategorie“, so Hofherr weiter.
„Mich hat überrascht, dass die Zerstörungen auf den betroffenen Inseln Abaco und Grand Bahamas so unterschiedlich waren“, so Roman Bügler. Ausschlaggebend dafür war die hohe Windgeschwindigkeit, die er über Abaco noch hatte. Mehr als 70 Prozent der Insel wurden zerstört. „Nachdem der Hurrikan über die Insel gefegt war und auf Grand Bahamas wütete, verlangsamte er sich extrem und blieb dort zwei Tage quasi stehen“, so Hofherr. „Das Monster hat sich einfach nicht weiter bewegt“, sagt Pawellek. „Deshalb waren die Flutschäden dort so hoch.“

Kunden schätzten unsere Präsenz
Wichtigstes Ziel der Munich Re-Experten war es, mit Schlüsselkunden Erfahrungen austauschen. „Das Timing war perfekt“ sagen die vier übereinstimmend: „Wir waren die ersten Rückversicherer vor Ort“, so Pawellek. „Das haben die Kunden sehr geschätzt.“ Ein weiteres Anliegen war Pawellek zufolge, einen Vergleich anzustellen zwischen Dorian und Hurrikan Mathew, der sich 2016 ereignete. „Verfolgt man lediglich öffentlich zugängliche Quellen, erfährt man zwar einiges, aber wirklich begreifen, welche Ausmaße die Schäden haben, kann man nicht“ ergänzt Pawellek. Gemeinsam mit einem lokalen Schadengutachter haben die Kollegen die Gebiete inspiziert, Portfolios aller Zedenten und viele Sparten analysiert und einzelne Schäden begutachtet – vor allem von Wohngebäuden und Industrierisiken, wie dem Flughafen und eine Brauerei auf Grand Bahamas.
Aufschlussreich für den Modellierer waren vor allem die unterschiedlichen Schäden, die an einzelnen Gebäuden aufgetreten sind. Es ist bei Stürmen sehr häufig so, dass auf kleinstem Raum enorme Unterschiede erkennbar sind: „So war zum Beispiel ein Haus total zerstört, während 50 oder 100 Meter daneben ein Gebäude nur marginale Schäden aufwies“, beschreibt Hofherr die Situation. Auch bei Reihenhäusern gleicher Bauqualität gab es große Unterschiede: „Bei einem Mittelhaus waren die Wände zum Bespiel komplett weggeblasen, während das Nachbarhaus noch intakt, oder nur das Dach beschädigt war.“
Woher kommen diese Unterschiede?
Im Wesentlichen sind solche Unterschiede auf zwei Faktoren zurückzuführen. Erstens, die Intensität: „In großen Sturmsystemen kann es auch kleinere Mikrosysteme mit höheren Windgeschwindigkeit geben“, erklärt Pawellek. Zweitens, die Bauqualität: „Das reicht von einer Verstärkung von Balken bis hin zur Länge der Nägel.“ Schon kleinere Vorsorgemaßnahmen können dazu beitragen, dass Gebäude 50 bis 60 Stundenkilometer mehr aushalten. „Mit diesem Wissen kann man im Modell die Einzelrisikoaspekte besser abbilden“, betont Hofherr. Am IBHS (Insurance Institute for Business & Home Safety), einem Forschungszentrum mit Versuchsstationen, an denen auch Munich Re mitwirkt, werden solche präventiven Maßnahmen untersucht und empfohlen.
„Spricht man mit Erstversicherern und Schadenregulierern, spürt man, wie belastend deren Arbeit ist“, berichtet Roman Bügler. Die Menschen brauchen schnell Geld, trotzdem müssen die Schäden genau untersucht werden. Dorian aber brachte noch weit mehr menschliches Leid: „In Abaco gab es ein Elendsviertel, das dem Erdboden gleichgemacht wurde. Bis heute gibt es keine genauen Zahlen, wie viele Menschen dort gestorben sind“, so Hofherr. Schadengutachter sprechen von mehreren tausend Menschen.

Bilder aus der Luft
Dialog mit Zedenten hilft
„Als Rückversicherer könnten wir noch schneller helfen, natürlich in erster Linie finanziell. Während Munich Re das Geld oft schnell an die Versicherer überwies, war die Weiterleitung an die Versicherungsnehmer komplizierter. Zum einen ist es in den Bahamas üblich, mit Schecks zu zahlen und diese persönlich zu übergeben. Häufig gelang es den Versicherern schlicht nicht, Versicherte zu kontaktieren – etwa wenn das Handy im Sturm verloren ging. „Wir haben den Dialog mit den Zedenten gesucht, um Prozesse zu vereinfachen und so den Zahlungsfluss zu beschleunigen.“ Natürlich muss genau geprüft werden, „aber wir brauchen auch Feedback, wo es gehakt hat“, sagt Pawellek. „Die Zedenten haben den Dialog sehr geschätzt und er hat die Kundenbeziehung weiter verbessert.“
Den Sturmmodellierer treibt ein weiteres Thema um: „Sieht man wie dünn besiedelt die beiden Inseln im Vergleich zur Küste Floridas von Miami bis Jacksonville sind, mag man sich gar nicht ausmalen, wie groß die Schäden wären, wenn ein Hurrikan auf die Ostküste Floridas treffen würde.“ Beim Hurrikan Irma 2017 gab es diese Befürchtung. Die ersten Vorhersagen für die diesjährige Hurrikan-Saison stimmen jedenfalls nicht zuversichtlich: Die Institute sind sich einig, dass eine überdurchschnittliche Sturmaktivität bevor stehen könnte.


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