Überschwemmungen

Als hätte sich der Himmel geöffnet

Kaum ein Jahr vergeht in China ohne Überschwemmungen. Flüsse werden in enge Läufe gezwängt und Städte versiegelt. Nach einigen Jahren ohne ganz große Hochwasserkatastrophen kam es 2016 wieder zu außergewöhnlichen Flutschäden.

27.03.2017
Die letzte große Flutkatastrophe in China hatte sich 1998 ereignet, als Hochwasser am Jangtse und am Songhua wochenlang ganze Regionen in Atem hielten. Damals waren etwa 20 Milliarden US-Dollar Schäden entstanden und fast 4.000 Menschen ums Leben gekommen. Wie 1998 ging dem Jahr 2016 ein außergewöhnlich starkes El-Niño-Ereignis voraus. Schon im Frühjahr hatten die Behörden gewarnt, dass mit einer verschärften Hochwasserperiode im mittleren und unteren Jangtse-Gebiet zu rechnen sei. Beginnend im Juni – früher als sonst – entstanden dann tatsächlich fast jede Woche neue Überschwemmungsschwerpunkte. 

Sturzfluten überraschen die Menschen

Trotz der ähnlichen Ausgangslage und der vergleichbaren Gesamtfolgen unterscheiden sich 1998 und 2016 signifikant. Die Überschwemmungen damals beruhten überwiegend auf Flusshochwasser, die den Jangtse und Songhua sowie ihre großen Nebenflüsse heimsuchten. Das Katastrophenjahr 2016 hingegen setzte sich aus vielen intensiven, oft lokalen Einzelereignissen zusammen. An 363 kleinen und mittleren Flüssen traten kritische Hochwasserstände auf.

Außergewöhnlich war die Zahl von über 600 Todesopfern. Zum einen bleibt bei den im Vergleich zu Flussüberschwemmungen viel überraschender auftretenden Sturzfluten manchmal nur wenig Zeit, um sich selbst zu retten. Zum anderen gehen die Menschen beim Versuch, noch rasch etwas von ihrem Hab und Gut in Sicherheit zu bringen, ein höheres Risiko ein. Hinzu kommt, dass die Wassermassen bei Sturzfluten in ­­der Regel reißender und damit gefähr­licher sind.

Land unter im Jangtse-Gebiet

Die folgenreichste Überschwemmungsperiode trat ab Mitte Juni im Jangtse-Einzugsgebiet in Mittelchina auf. Fast einen Monat lang – zur Zeit des Pflaumenregens („Mei-yu“, siehe Seite 34–35) – folgte ein Regensturm dem anderen. Nanjing, am Unterlauf des Jangtse gelegen, erreichte mit 1.055 Millimeter Niederschlagshöhe von Januar bis Juli die zweithöchste je dort gemessene Menge, doppelt so viel wie normal; die 550 Millimeter in der Mei-yu-Periode (Juni bis Juli) markierten sogar einen neuen Höchst­wert. In der Stadt traten beträchtliche Schäden auf. 

Der sonst eher dauerregenartige Mei-yu war 2016 von vielen Gewittern durchzogen, mit zum Teil sehr heftigen lokalen Niederschlägen und sogar Hagel. Vielerorts kam es zu Erdrutschen, an 179 Stellen brachen Deiche. Zwar führten auch die großen Flüsse wie der Jangtse Hochwasser, die sich aber nicht zu katastrophalen Schäden auswuchsen. Insgesamt kosteten die Überschwemmungen im Jangtse-Gebiet rund 20 Milliarden US-Dollar, wovon nur rund 2,5 Prozent versichert waren. Mindestens 237 Menschen starben.
Kaum ein Jahr vergeht in China ohne Überschwemmungen. Flüsse werden in enge Läufe gezwängt und Städte versiegelt. Nach einigen Jahren ohne ganz große Hochwasserkatastrophen kam es 2016 wieder zu außergewöhnlichen Flutschäden. © dpa picture-alliance / Photoshot
Die extremen Niederschläge der Mei-yu-Periode – Augenzeugen verglichen es mit dem Öffnen des Himmels – trafen vor allem chinesische Städte. Etliche Metropolen wurden durch Sturzfluten zeitweise lahmgelegt.

Gründe für Überschwemmungen in China

Eines der spektakulärsten lokalen Ereignisse traf am Zusammenfluss von Jangtse und Han die Stadt Wuhan, die wie kaum eine andere in China für das Flusshochwasser-Risiko steht. Vom 1. bis 6. Juli fielen in den vier Stadtbezirken zwischen 930 und 1.087 Millimeter Niederschlag, mehr als je zuvor. Straßen, Eisenbahn- und U-Bahnstrecken wurden überflutet. Wuhan steht auch für das ungezügelte Wachstum chinesischer Metropolen, in denen die Entwicklung der Entwässerungs-Infrastruktur nicht mithält. Die bebaute Fläche in der Stadt hat sich seit 1949 um über 200 Quadratkilometer auf etwa 550 Quadratkilometer (2015) ausgedehnt. Dabei ging auch ein Drittel des Retentionsvolumens in den umliegenden Seen verloren, in denen früher bei Hochwasser viele Millionen Kubikmeter Wasser zwischengespeichert wurden.

Hat der Drei-Schluchten-Damm geholfen?

War das Hochwasser am Jangtse 1998 im Wesentlichen aus Sichuan durch die Drei Schluchten gekommen, entstand es dieses Mal erst unterhalb des gewaltigen Damms. Dennoch spielte das Drei-Schluchten-Projekt 2016 eine entscheidende Rolle. Während der Hochwasserperiode am Mittel- und Unterlauf des Jangtse wurde ein beträchtlicher Teil des aus dem Oberlauf kommenden Wassers im Stauraum zurückgehalten und der Hochwasserscheitel um fast 40 Prozent gesenkt. Ohne Rückhaltung im Drei-Schluchten-Reservoir wäre der kritische Wasserstand im Jangtse oberhalb von Wuhan sieben Tage lang überschritten worden. Dies zeigt, dass ein Speicher signifikant zum Hochwassermanagement beitragen kann, auch ohne dass er eine in ihn hineinfließende Hochwasserwelle kappt. Andererseits kann das Drei-Schluchten-Projekt nicht jedes Hochwasser verhindern.

Unwetter über Großstädten

Das zweite Milliarden-Ereignis 2016 spielte sich im Nordosten Chinas ab und betraf Provinzen, in denen insgesamt mehr als eine halbe Milliarde Menschen leben. Vom 18. bis 21. Juli zog ein Niederschlagsgebiet von Westen nach Osten und traf nacheinander auf die Großstädte Taiyuan, Zhengzhou, Shijiazhuang, Tianjin und Beijing. In nur drei Tagen regnete es auf einer Fläche von 900.000 Quadratkilometern durchweg mehr als 50 Millimeter, auf 36.000 Quadratkilometern sogar mehr als 250 Millimeter. In 22 Bezirken wurden historische Höchstmarken übertroffen. In der Ortschaft Dongshan bei Peking fielen 454 Millimeter Regen. Mancherorts gingen bis zu 140 Millimeter in einer Stunde nieder. 149 Städte und Bezirke in der Provinz Hebei erlitten Schäden, fast 15 Millionen Menschen waren von Überschwemmungen betroffen, es gab 164 Tote. Die Gesamtschäden summierten sich auf 4,5 Milliarden US-Dollar, davon allein 85 Prozent in Hebei.

Besonders schwer traf es den Bezirk Xintai im Südwesten der Provinz, wo eine plötzliche Flutwelle über den Deich schwappte und mitten in der Nacht eine Ortschaft überschwemmte, die nicht vorgewarnt war. Schwerwiegende Defizite zeigte auch das Beispiel der illegalen Bebauung eines erst seit wenigen Jahren ausgetrockneten Flussbetts im gleichen Bezirk. Dort kam es zu massiven Schäden.

Ausbau von Hochwasserschutz und -vorsorge

Nach den traumatischen Ereignissen im Jahr 1998 hat China ein umfangreiches Hochwasserschutz-Programm angestoßen. Allein in den ersten zehn Jahren investierte die Regierung mehr als 620 Milliarden Yuan (87 Milliarden US-Dollar). Zentren zur Datenerhebung, Hochwasservorhersage und -warnung wurden eingerichtet und eine Strategie zum Hochwassermanagement ausgearbeitet. Bis Ende 2006 waren 85.800 Dämme, Rückhaltebecken und -räume sowie 280.000 Kilometer Deiche gebaut oder ertüchtigt, die 550 Millionen Menschen und 45 ¬Millionen Hektar Ackerland schützen. In der Folge haben die Auswirkungen der alljährlichen Hochwasser abgenommen, obwohl die Werte seitdem gestiegen sind.

Die neue Strategie konzentriert sich auf das Management des Hochwassers und damit auf die Reduktion des Risikos anstatt darauf, einen bestmög­lichen Hochwasserschutz zu erzielen. Allerdings wurden in erster Linie Fluss­hochwasser ins Visier genommen. Der Schutz gegen lokale Stark­niederschläge genießt wenig Beachtung, er wurde teilweise fast ignoriert. Das rächte sich im Sommer 2016. 

Lehren aus den Überflutungen

In den ländlichen Gebieten muss eine nachhaltigere Entwicklung unter Einbeziehung der natürlichen Gegebenheiten forciert und generell das (Hoch-)Wassermanagement gestärkt werden. Unabdingbar dafür sind eine vorausschauende Planung und eine Verbesserung der Frühwarn­möglichkeiten. Auch Nothilfemaßnahmen können und müssen besser geplant sein.

In Metropolen wie Wuhan und Peking geht es darum, das gesamte Spektrum der Katastrophenvorsorge und Risikoreduktion zu optimieren. Dies beginnt bei der adäquaten Auslegung von Regenentwässerungssystemen, geht über eine effizientere Frühwarnung sowie Maßnahmen zur Hochwasserabwehr und endet mit Weichenstellungen, um nach einer Katastrophe rasch in den Alltag zurückzufinden. Im Fokus muss insbesondere die Erhöhung der Resilienz stehen: Versorgungsleitungen und Verkehrswege dürfen nicht tagelang unbrauchbar werden, sondern müssen sehr schnell wieder ihre wesentlichen Aufgaben erfüllen können.

Großes Potenzial für Versicherungen

Der geringe Anteil der versicherten Schäden an den gesamten Überschwemmungsschäden von etwa zwei Prozent im Sommer 2016 zeigt, dass eine immense Lücke vorliegt – obwohl die Regierung seit Jahren für entsprechenden Versicherungsschutz wirbt. Lediglich im Industriebereich ist eine Deckung mitunter vorhanden, vor allem bei Firmen mit internationalem Bezug. Private Haushalte sind kaum versichert. Das liegt – besonders in ländlichen Gegenden – an fehlenden finanziellen Mitteln, zum anderen aber am mangelnden Risikobewusstsein. Außerdem vertrauen die meisten darauf, dass der Staat helfen wird, wenn es zu einem schwerwiegenden persönlichen Schaden kommt.

Allerdings gibt es auch erste Ansätze zur Resilienzstärkung, indem Kommunen Versicherungsschutz für ihre Bürger erwerben wollen. So sollen zumindest ein Teil der Verluste nach einer Katastrophe kompensiert und die Betroffenen in die Lage versetzt werden, zu einem geregelten Leben zurückzukehren. In China besteht in dieser Hinsicht ein riesiges Potenzial und ein entsprechender Bedarf. Die Erkenntnis, dass sich derartige Ver­sicherungssysteme für alle Beteiligten lohnen, ist aber bisher nicht sehr ­verbreitet. Hier muss noch Überzeugungsarbeit geleistet werden, verbunden mit der Information, welche Voraussetzungen für eine effektive Versicherungslösung vorliegen müssen. Dazu gehören insbesondere Gefährdungskarten, Daten zu Schadenerfahrungen, aber auch Daten zu Werteverteilungen in potenziell von Überschwemmungen betroffenen Gebieten. 
Munich Re Experten
Wolfgang Kron
Wolfgang Kron
Head of Research, Hydrological Hazards in Geo Risks Research
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