Contingency

Keine schlaflosen Nächte

Dass Veranstalter und beteiligte Investoren in den Tagen vor der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien ruhig schlafen können, haben sie auch König Edward VII. von Großbritannien zu verdanken. Weil er im Juni 1902 kurz vor seiner Krönung erkrankte, mussten die Feierlichkeiten verschoben werden. Weil daraufhin viele Reservierungen storniert wurden, kam es zu einer Reihe von Gerichtsverfahren, die als „coronation cases“ in die Rechtsgeschichte eingingen. Erstmals wurde seinerzeit der Ausfall der Veranstaltung als legitimer Grund für einen Vertragsrücktritt anerkannt.

11.06.2014

Heute sind solche Versicherungen unverzichtbar. „Wenn eine große Sportveranstaltung nicht wie geplant durchgeführt werden kann oder im schlimmsten Fall komplett abgesagt werden muss, kann das schließlich teuer werden,“ sagt Andrew Duxbury, Munich Re Experte für die Versicherung von Großereignissen.

Fernsehsender verlangen ihr Geld für die Übertragungsrechte zurück, Sponsoren für die Werbung und Besucher für die Tickets. Maskottchen und T-Shirts könnten nicht verkauft werden, Hotels bleiben leer, Reisebuchungen werden storniert. „Wenn es um Gründe für einen Veranstaltungsausfall geht, sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt,“ erläutert Duxbury. „Wichtig ist nur, dass das auslösende Moment außerhalb der Kontrolle des Versicherungsnehmers liegen muss, damit die Police greift.“ Naturkatastrophen kämen also in Betracht, Terroranschläge, Epidemien, ein längerer Stromausfall oder schlicht ein großes Feuer, das zum Beispiel unmittelbar vor der Eröffnungsfeier ein Stadion zerstört. „Das Problem bei Sportereignissen von der Größe einer Fußballweltmeisterschaft liegt darin, dass sie nicht spontan an einen anderen Ort verlegt werden können, wenn unmittelbar vor dem Ereignis etwas passiert“, erläutert Duxbury.

Er selbst hat noch nie erlebt, dass eine der großen Sportveranstaltungen ganz abgesagt werden musste. „Aber ich habe schon manches Mal die Luft angehalten. Zuletzt bei der Rugby-Weltmeisterschaft in Neuseeland 2011. Nach dem starken Erdbeben in Christchurch konnten dort keine Wettkämpfe stattfinden.“ Mit vereinten Kräften aller Beteiligten gelang es damals, die Wettbewerbe in anderen Städten durchzuführen. Die Versicherer trugen die daraus entstehenden Zusatzkosten. Auch vor den Olympischen Spielen in China 2008 bebte nur wenige Monate vor der Eröffnung die Erde. „Die Chinesen haben es trotzdem geschafft, dass die Spiele wie geplant stattfinden konnten.“

Mit Brasilien als Austragungsort der WM beschäftigen sich die Experten der Veranstaltungsausfallversicherung schon seit Jahren, erklärt Duxbury. „Seit der Austragungsort bekannt gemacht wurde, haben wir uns mit allen Fragen der Risikoeinschätzung beschäftigt.“ Mit den Geo-Experten von Munich Re wurde die Naturgefahrenexponierung der Standorte überprüft. „Brasilien ist aber nicht sehr von Erdbeben, heftigen Stürmen oder anderen extremen Wetterereignissen bedroht.“ Andere Experten bewerteten, welche Erfahrung es im Gastgeberland bei der Durchführung von Megaereignissen gibt, wie mit Sicherheitsvorkehrungen umgegangen wird, wie sorgfältig Mitarbeitern und Ehrenamtlichen überprüft werden.

In die Notfallpläne werfen die Experten von Munich Re ebenso einen Blick wie in die Logistik-Pläne. Anders als bei den Olympischen Spielen in London besteht in Brasilien die Herausforderung nicht nur darin, dass der Verkehr in den Austragungsstädten zusammenbrechen könnte, sondern in den großen Entfernungen zwischen den einzelnen Stadien. „Aber die Veranstalter bauen genügend Sicherheitspuffer ein, damit die Spieler rechtzeitig zu jedem Anpfiff auf dem Platz stehen. Wenn Zuschauer nicht rechtzeitig ankommen, ist das zwar sehr schade, aber nicht versichert.“  

Zudem wurden Spezialisten zu Rate gezogen, die die politischen Gefahren in einem Land einschätzen können. „Dabei hilft es uns sehr, dass Munich Re eine Tochtergesellschaft in Sao Paulo hat. Die Kollegen vor Ort haben natürlich ein viel genaueres Bild von der Situation im Land als wir in Europa,“ sagt Duxbury. Die Unruhen der vergangenen Monate nehme man aufmerksam zur Kenntnis, allerdings gäbe es im Vorfeld solcher Großveranstaltungen eigentlich immer Proteste, so der Experte, vor allem in Ländern mit hohem sozialem Gefälle. „Erfahrungsgemäß steigt die Begeisterung im Land jeden Tag etwas mehr, bis es endlich losgeht.“

Für Andrew Duxbury selbst gibt es inzwischen nur noch ein Szenario, das ihm schlaflose Nächte bereiten kann: eine Niederlage der Engländer im Elfmeterschießen – gegen Deutschland.