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Schäden durch Spätfrost und der Klimawandel – Nur scheinbar ein Widerspruch
Schäden durch Spätfrost und der Klimawandel – Nur scheinbar ein Widerspruch
© GrashAlex / iStockphoto / Getty Images
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    Zwischen 17. April und 10. Mai 2017 erfasste Kälte mit zahlreichen Frostnächten große Teile Europas. Zuvor hatten die Pflanzen wegen des ungewöhnlich warmen Frühjahrs schon stark ausgetrieben. Die Schäden insbesondere im Obst- und Weinbau waren historisch: Die volkswirtschaftlichen Kosten belaufen sich auf geschätzte 3,3 Milliarden Euro. Davon trug die Versicherungswirtschaft rund 600 Millionen Euro.

    In der zweiten und dritten Aprildekade und teilweise auch noch in der ersten Maidekade 2017 gab es in West-, Mittel-, Süd- und Osteuropa Nachtfröste, die vielerorts verheerende Auswirkungen auf den Obst- und Weinbau hatten. Am stärksten betroffen waren Italien, Frankreich, Deutschland, Polen, Spanien und die Schweiz. Die Schäden waren deshalb so hoch, weil die Vegetation aufgrund einer außergewöhnlich warmen Witterung im März bis in die erste Aprildekade hinein bereits weit fortgeschritten war. 

    So begann die Apfelblüte im Flächenmittel über Deutschland am 20. April, sieben Tage früher als im Zeitraum von 1992 bis 2016 üblich. In weiten Gebieten Deutschlands, darunter etwa der Bodensee-Obstanbauregion, begann die Blüte schon vor dem 15. April. Bei Kirschbäumen – die im Flächenmittel über Deutschland am 6. April zu blühen begannen – waren es sogar zwölf Tage früher als im Durchschnitt. Aufgrund dieser frühzeitigen Vegetationsentwicklung in großen Teilen Europas konnte der Frost ein zerstörerisches Werk entfalten. Er traf in der zweiten Aprilhälfte auf die empfindlichen Blüten beziehungsweise die initialen Fruchtstadien des Obstes, beim Wein auf die frostgefährdeten ersten Austriebe.

    Spätfrostschäden und der Klimawandel: Trend zeigt frühere Süßkirschen-Blüte in Deutschland

    Meteorologische Voraussetzungen

    Die Witterungsbedingungen, die die Frostnächte mit sich brachten, prägen oft den April und sind auch sonst für das sprichwörtlich wechselhafte Wetter dieses Monats verantwortlich. Dabei bildet sich der Korridor der schnellen Höhenströmung, auch Polarfront genannt, so aus, dass er aus nordwestlichen Richtungen von nahe Island nach Mitteleuropa hineinführt. Diese Nord- bzw. Nordwestlage entsteht häufig dann, wenn über dem östlichen Nordatlantik hoher Luftdruck und über dem Baltikum und dem Nordwesten Russlands tieferer Luftdruck herrscht. Entlang dieses Korridors ziehen immer wieder Tiefdruckgebiete nach Europa, die hinter ihren Kaltfronten feuchte und kalte Luftmassen aus dem Bereich Grönland/Island heranführen. Gelegentlich dehnt sich das Hochdruckgebiet sehr weit über den Kontinent in Richtung Osten aus, so dass die Strömung im Uhrzeigersinn um das Hoch trockene Kaltluft aus hohen kontinentalen Breiten nach Mitteleuropa führt. 

    Diese Familie von Wetterlagen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für Frostnächte bestimmte von Mitte bis Ende April das Wetter. Es kam zu Frösten bis unter -5°C, besonders vom 17. bis 24. April (zweite und dritte Aprildekade), im Osten Europas auch noch in der ersten Maidekade.

    Spätfrost nach warmem Frühling verursachte Milliardenschäden in großen Teilen Europas.

    Hohe Schäden im Obst- und Weinbau

    Frostschäden bei Pflanzen entstehen durch intrazelluläre Eisbildung. Die Zellwände zerfallen, anschließend vertrocknet die Pflanzenmasse. Das Schadenbild ähnelt deshalb dem nach einer Dürre. Landwirtschaftliche Kulturen sind in den verschiedenen Wachstumsphasen unterschiedlich frostgefährdet. Besonders empfindlich sind sie während der Blüte und kurz nach dem Austrieb, wie es im April 2017 bei Obst und Wein wegen des frühen Vegetationsbeginns der Fall war. Deshalb waren hier die Schäden besonders groß. In Spanien traf die Kältewelle auch Getreide, das zu diesem Zeitpunkt in der Blüte stand. 

    Selbst Risikoexperten waren angesichts der großen geographischen Ausdehnung und der Schadenhöhe (gesamt 3,3 Milliarden Euro, davon versichert rund 600 Millionen Euro) überrascht. In Italien und Frankreich waren die Gesamtschäden mit jeweils etwa einer Milliarde Euro am höchsten.

    Zwei Grundkonzepte der Frostversicherung

    Im Obst, Wein- und Gartenbau gilt Frost seit jeher als eine schadenträchtige Naturgefahr. Deshalb sind Präventionsmaßnahmen weit verbreitet: Im Gartenbau etwa der Anbau in Gewächshäusern oder unter Vlies, im Obstbau die Frostschutzberegnung und Windmaschinen bzw. Helikopter zur Luftschichten-Durchmischung. Wie wirksam sie sind, hängt von meteorologischen Bedingungen ab. Deshalb kommt dem Risikotransfer eine entscheidende Bedeutung zu. Versicherbarkeit und Versicherungslösungen unterscheiden sich von Land zu Land erheblich. Es gibt zwei Grundkonzepte der Frostversicherung

    • als Schadenversicherung, bei der die Hageldeckung um Frost oder auch andere Gefahren erweitert wird;
    • als Ertragsgarantieversicherung, die alle Naturgefahren abdeckt.

    In den meisten Ländern subventioniert der Staat die Versicherungsprämien, weshalb dort auch die Versicherungsdurchdringung höher ist. In Deutschland, wo Prämien nicht subventioniert sind und die Frostversicherungsdichte gering ist, haben einzelne Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg geschädigten Betrieben staatliche Beihilfen zugesagt - auch für bestimmte Kulturen wie Wein und Erdbeeren, die versicherbar waren.

    Spätfröste und Klimawandel

    Es gibt sehr deutliche Hinweise, dass der Klimawandel sowohl den Zeitpunkt des Vegetationsbeginns als auch das Datum des letzten Spätfrosts verschiebt (Abb. 3). Ob mit dem Klimawandel die Spätfrostgefahr zu- oder abnimmt, hängt davon ab, was sich zeitlich stärker nach vorne verschiebt - eine Art Wettlauf zwischen diesen beiden Prozessen also: Rückt in einer Region der Beginn der Vegetationsperiode stärker nach vorne als das letzte Spätfrostdatum, steigt langfristig das Spätfrostrisiko. Im anderen Fall nimmt die Spätfrostgefahr ab.
    Klimawandel lässt scheinbar Vegetationsperiode früher beginnen und Spätfrost früher enden.

    Der Wettlauf zwischen diesen Prozessen dürfte angesichts der verschiedenen Klimazonen in Europa regional erheblich variieren. Während der Osten stärker vom kontinentalen Klima geprägt ist, herrscht nahe der Atlantikküste im Westen ein viel milderes Frühlingsklima. Eine Studie zeigt, dass der Klimawandel im Weinbau in Luxemburg entlang der Mose1 das Spätfrostrisiko deutlich reduzieren dürfte. Die Anzahl der von Spätfrost geprägten Jahre soll zwischen 2021 und 2050 um 40 Prozent niedriger ausfallen als zwischen 1961 und 1990. 

    Eine andere Studie für die Obstanbaugebiete in Deutschland2 fand hingegen eine Erhöhung der Tage mit Spätfrost für alle Gebiete, was insbesondere im Bodensee-Obstanbaugebiet zu Ertragseinbußen bis Ende des 21. Jahrhunderts führt. Allerdings gibt es derzeit nur wenige erste Studien zu dieser Frage, so dass die Unsicherheiten überwiegen.

    Ausblick

    Der Spätfrost im Frühjahr 2017 hat verdeutlicht, welches Ausmaß solch ein Ereignis haben kann und wie hoch die Schäden im Obst- und Weinbau sein können. Da durch den Klimawandel die Vegetationsperiode immer früher im Jahr einsetzt, können Spätfrostschäden in der Zukunft zunehmen, sofern der letzte Spätfrost nicht ähnlich viel früher stattfindet. Es ist plausibel, dass diese Entwicklungen kleinräumig auftreten werden, z.B. differenziert nach kontinentalem und maritimem Klima, oder nach Höhenlage versus Tallage.

    Regionale Studien mit Projektionen anhand von Klimamodellen sind noch selten und in einem wissenschaftlichen Frühstadium. Ein erstes wichtiges Ergebnis ist, dass die projizierte Abnahme der Spätfrosttage keinesfalls bedeutet, dass das landwirtschaftliche Spätfrostrisiko in einer Region zurückgehen muss. Somit kann der Zeitpunkt von Spätfrösten durchaus größere Schwankungen bei den landwirtschaftlichen Erträgen zur Folge haben. Neben der Prävention zum Beispiel durch nächtliche Vliesabdeckung, Frostschutzberegnung oder Einsatz von Windmaschinen wird es daher unverzichtbar sein, das Risikomanagement im Obst- und Weinbau durch eine alle Naturgefahren umfassende Ernteversicherung zu ergänzen.    

    1 Molitor et al., 2014, Journal of Grape and Wine Research, 20, 160-168
    2 Chmielewski et al, 2010, in Matzarakis et al., 2010: Proceedings of the 7th Conference on Biometeorology, 50-56

    Munich Re Experten
    Eberhard Faust
    Eberhard Faust
    Head of Research: Climate Risks and Natural Hazards
    Munich Re (until 01.11.2020)
    Joachim Herbold
    Senior Underwriter Special and Financial Risks und Experte für Landwirtschaftliche Risiken

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