Psychische Erkrankungen wie Depressionen, Schizophrenie oder Angststörungen stellen in der Lebensversicherung eine besondere Herausforderung dar. Doch gerade dieser Bereich kann durch neue Ansätze und frische Ideen großes Potenzial haben, sagt Daniela Krause, Fachärztin für Psychiatrie und habilitierte Wissenschaftlerin, die sich als Medical Consultant zusammen mit unseren Kunden diesem Thema widmet.
Innerhalb der Medizin ist das Fachgebiet Psychiatrie noch jung. Ordnen Sie bitte kurz ein!
Daniela Krause: Erste Innovationen im Bereich der psychischen Erkrankungen kamen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mittels Psychotherapie wurden Erkrankte ernst genommen und nicht mehr wie in den Jahrhunderten zuvor als Verrückte oder Irre gesehen. Seit den 1930er-Jahren erweiterte sich das therapeutische Spektrum deutlich: Psychisch Kranke konnte sich nun mittels Fiebertherapie (einer Infektion mit Malaria), Insulin-Komatherapie (Gabe einer Überdosis Insulin) oder Elektrokrampftherapie (Auslösen eines epileptischen Anfalls) behandeln lassen. Seit sich im Jahr 1970 erstmals der Deutsche Ärztetag mit dem Fach Psychiatrie beschäftigte, hat ein Umdenken stattgefunden: Psychosen, Angststörungen oder Depressionen sind heute aus medizinischer Sicht gewöhnliche Krankheiten, die auch biologische Ursachen haben. Wir fangen gerade erst an zu verstehen, wie diese sich auf zellulärer Ebene diagnostizieren lassen. Denn psychiatrische Krankheiten sind, im Gegensatz zu anderen Bereichen in der Medizin, nicht durch Bluttests oder Röntgenaufnahmen zu bestimmen.
Welche Dimension haben psychische Erkrankungen für Versicherer?
Psychische Erkrankungen sind heute bereits die häufigste Ursache dafür, dass Menschen nicht mehr arbeiten können. In Deutschland machen darauf zurückgehende Schadensfälle in der Berufsunfähigkeitsversicherung 22 Prozent aus. Die Versicherungsindustrie zahlt weltweit Milliardenbeträge für Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung zum Beispiel ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Dafür wird eine Versicherung auch abgeschlossen. Aus unserer Sicht ist es aber wichtig, wie wir zum Beispiel die Versicherbarkeit von Menschen mit einer psychischen Vorerkrankung verbessern können. Und natürlich wollen Versicherer auch nur dann im Leistungsfall zahlen, wenn wirklich eine schwerwiegende psychische Erkrankung vorliegt. Und das festzustellen ist eben leider nicht so einfach.
Warum ist die Versicherung von psychischen Krankheiten so schwer?
Diese Erkrankungen nehmen eine Sonderrolle in der Medizin ein. Eine Depression ist eben nicht so leicht zu diagnostizieren wie Herzprobleme oder Rückenschmerzen. Ein EKG oder ein Röntgenbild hilft den Ärzten und Versicherern, ein Krankheitsrisiko einzuschätzen oder eine Diagnose zu bestätigen. Bei psychischen Erkrankungen gibt es diese Hilfsmittel nicht. Versicherer müssen also Risiken einschätzen, die sich nur schwer objektivieren lassen.
Wie geht Munich Re damit um?
Für die Risiko- und Leistungsprüfung sind die Krankheitsbilder heute noch sehr schwer einzuschätzen. Daher ist es für uns wichtiger denn je, uns mit der psychologischen Spitzenforschung zu vernetzen und nahe an deren Innovationen dran zu sein. Deshalb haben wir unser Engagement erheblich ausgebaut: Seit 2016 betreibt unser Center of Competence Medical Research & Consulting eine Forschungskooperation mit der psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Wir wollen in unserem ersten initiierten Projekt die Diagnosen Depression und Schizophrenie technisch besser messbar und somit objektivierbar machen.
Wie kann Munich Re die Versicherungswirtschaft bereits jetzt unterstützen?
Wir beraten unsere Kunden zu allen Aspekten der Psychiatrie, bewerten Gutachten und teilen unsere Erkenntnisse aus unseren Kollaborationen mit der Spitzenforschung. Damit wollen wir zum einen verständlicher machen, wie sich Depressionen, Schizophrenie oder Angststörungen erkennen und behandeln lassen. Zum anderen wollen wir unseren Kunden auch Wettbewerbsvorteile ermöglichen. Denn wer psychiatrische Erkrankungen versteht, ist für die Zukunft gewappnet.
Was macht Munich Re konkret?
Neben der genannten LMU-Partnerschaft kooperieren wir mit Munich Health, dem Geschäftsfeld von Munich Re, in dem das internationale Gesundheits-Know-how unserer Gruppe gebündelt ist. Zudem erweitern wir kontinuierlich unsere Kollaborationen mit Innovatoren aus dem Bereich Mental Health. So arbeiten wir mit einem Start-up an innovativen Lösungen, um psychische Erkrankungen rechtzeitig zu erkennen und eine bestmögliche Behandlung sicherzustellen. Bislang führt die Komplexität psychischer Erkrankungen sowie deren eingeschränkte Objektivierbarkeit dazu, dass Lebensversicherer nicht immer einen Versicherungsschutz anbieten können. Durch die Hinzunahme von freiwillig zur Verfügung gestellten Smartphone-Daten ließe sich die Versicherbarkeit von Menschen mit psychischen Vorerkrankungen ausweiten.
Was sind Ihre nächsten Schritte?
Wir wollen als Lebensversicherer für Menschen mit psychischen Erkrankungen ein noch besserer Partner sein. Hierfür arbeite ich an der Vernetzung unserer Arbeitsgruppen mit Forschung und Entwicklung mit Start-ups, Universitäten und Wissenschaft, um entlang der Wertschöpfungskette neue Produkte und Lösungen für Lebensversicherer zu entwickeln. Schließlich möchten wir Innovationen und vielversprechende Forschung früh adaptieren können und, dass von dieser völlig neuartigen Zusammenarbeit aus Universitäten, Start-ups und Versicherungswirtschaft am Ende alle profitieren können: Munich Re, Lebensversicherer – und betroffene Patienten.