Wo Bergbau betrieben wird, entsteht Abraumschlamm. Er wird in Becken, Tailings Dams, gesammelt, die durch Dämme gesichert sind. Der Bruch eines solchen Damms kann katastrophale Auswirkungen haben. Sollen derartige Bauwerke versicherbar bleiben, muss man die individuelle Risikosituation analysieren.
Im Gegensatz zu Dämmen von Stauseen werden die Rückhaltevorrichtungen für Schlammbecken entweder aus Schotter oder im schlechtesten Fall aus getrockneten Abraumrückständen gebaut. Um die Dämme abzudichten, werden sie mit einem Kern aus wasserundurchlässigem Ton versehen und in einigen Fällen auch mit Kunststoffmatten ausgelegt. Da die Lebenszeit vieler Minen aufgrund steigender Rohstoffpreise oft länger ist als ursprünglich geplant, müssen sukzessive auch die Dämme erhöht werden. Je nach Abbaumethode kann das mit Gestein oder Schlamm erfolgen, der teils Chemikalien aus der Aufbereitung enthält.
Anders als bei Stauseen, die zur Wartung abgelassen werden können, müssen Tailings Dams zuverlässig halten. Sie sind im Prinzip für die Ewigkeit angelegt und werden im Idealfall nach Stilllegung der Mine renaturiert. Während des Minenbetriebs müssen sie so stabil sein, dass sie dem Druck des gelagerten Abraums standhalten. Das ist leider nicht immer der Fall. So brach 2013 der Damm von Mount Polley in Kanada und 2015 der Damm von Samarco in Brasilien.
Die drei häufigsten Ursachen für Zwischenfälle bei Tailings Storage Facilities (TSF) sind Erdbeben, Überlaufen und Hangrutsche. Bei Beben kann entweder der Damm selbst instabil werden oder durch sogenannte Liquefaktion brechen. Durch hohe Niederschlagsmengen kann die maximale Fassungsmenge einer TSF überschritten werden, wodurch Tailings aus dem Becken laufen. Dabei wird häufig auch der Damm selbst beschädigt. Sind die Hänge von Tailings Dams nicht flach genug oder beim Bau nicht ausreichend verdichtet worden, kommt es zu Rutschungen, die die Stabilität der Dämme bedeutend schwächen.
Vielversprechend ist die teurere Technik des „Dry Stacking“, bei der die Aufbereitungsrückstände vor der Ablagerung komplett getrocknet werden. Das Material wird aufgehäuft und verdichtet. Hierdurch wird der Bau großer Dämme überflüssig.
Neue Standards für Tailings-Becken
Die höchsten Dämme erreichen heute schon bis zu 240 Meter und werden in Zukunft noch höher wachsen. Zum Vergleich: Die Hoover-Talsperre im Südwesten der USA bringt es auf eine Höhe von 221 Metern. TSF zählen somit zu den größten von Menschenhand geschaffenen Strukturen der Welt. Angesichts dieser Entwicklung hat die Bergbaubranche Handlungsbedarf erkannt. Das International Council on Mining and Metals, ein Zusammenschluss der weltweit 23 größten Bergbau- und Metallunternehmen, hat im Dezember 2015 angekündigt, die Standards für die Lagerung von Abraumschlamm zu überprüfen.
Auch in der Assekuranz hat ein Umdenken begonnen, nachdem Dammbrüche in den vergangenen Jahren mehrere Großschäden ausgelöst hatten. Ziel ist es, die Risiken besser einschätzen zu können, um auch künftig die Versicherbarkeit von Tailings Dams zu gewährleisten. Sinnvoll wäre in diesem Zusammenhang, den Bergbau mit seinen speziellen Risiken aus der gewöhnlichen Sachversicherung herauszutrennen. Munich Re ist in ihrer Einheit Corporate Insurance Partner (CIP) diesen Weg bereits gegangen. Denn anders als etwa für den Öl- und Gassektor ist in der Assekuranz traditionell kein eigener Geschäftsbereich für den Bergbau vorgesehen. Versicherungspolicen werden aus den Policenformularen für „gewöhnliche“ Sachrisiken anderer Branchen abgeleitet, indem man bergbauspezifische Zusätze hinzufügt. Dadurch hat die Produktentwicklung nicht mit den Bedürfnissen und Gefahren der Branche Schritt gehalten.
Pauschalvereinbarungen und höhere Limite
Die Schwächen treten im Bereich der Betriebsunterbrechung zutage. Umsatzeinbußen infolge von Betriebsausfällen sind nur versicherbar, wenn sie durch einen versicherten Sachschaden ausgelöst werden. Abraum aus dem Bergbau ist als wertloses Produkt jedoch nicht über die Sachversicherung deckungsfähig. Somit besteht für Bergbaufirmen eigentlich keine Möglichkeit, eine Betriebsunterbrechung zu versichern, falls der Damm eines Schlammbeckens bricht. Auf der anderen Seite ist es unmöglich, eine Mine ohne funktionierendes Schlammbecken zu betreiben, da der Betrieb eingestellt werden muss, wenn die Aufbereitungsrückstände nicht entsorgt werden können.
Bei der Lösung dieses Dilemmas kamen den Bergbauunternehmen die Weichmarktbedingungen der vergangenen Jahre zugute. Dadurch war es ihnen möglich, Pauschalvereinbarungen mit Versicherern abzuschließen, die auch Schäden aus Betriebsunterbrechungen umfassten. Die Limite hierfür sind immer weiter gestiegen, je weicher die Marktbedingungen geworden sind.
Individuelle Risikoeinschätzung nötig
Dabei wäre ein anderer Ansatz vonnöten: Um Risiken adäquat zu versichern, muss man sie richtig einschätzen können. Das erfordert Experten auf dem Gebiet des Bergbaus, die eng mit den jeweiligen Kunden zusammenarbeiten. Munich Re hat dazu einen Fragebogen entwickelt, der die Grundlage für die individuelle Risikoeinschätzung bildet. Dieser soll dabei helfen, die kritischen Risikoszenarien zu ermitteln und darauf aufbauend Deckungsumfang und Entschädigungsgrenzen festzulegen. Dabei spielen Faktoren wie das Alter der Mine, deren voraussichtliche Lebensdauer und die erwarteten Fördermengen eine Rolle. Ein Ausschlusskriterium wäre beispielsweise, wenn der Schlammspiegel im Rückhaltebecken knapp unterhalb der Dammkrone liegt. Die Gefahr des Überlaufens des Damms beim nächsten Starkregen wäre erheblich.
Haben sich aus dem Fragebogen keine Ausschlusskriterien ergeben, müssen im nächsten Schritt Underwriter die Standfestigkeit der Tailings Dams individuell anhand von geotechnischen Gutachten ermitteln.
Denn keines dieser Bauwerke gleicht angesichts unterschiedlicher geologischer Bedingungen dem anderen. Wichtig ist hierbei unter anderem, aus welchem Material die Dämme gebaut sind, auf welche Weise sie erhöht werden und wie der Untergrund beschaffen ist, auf dem die Dämme errichtet wurden. Munich Re kommt bei diesem Evaluierungsprozess zugute, dass wir einzelne Bergbauprojekte bereits seit Jahrzehnten begleiten und auf die daraus gewonnene Expertise zurückgreifen können.
Eine pauschale Deckung für Gefahren, die von Tailings Dams ausgehen, birgt für Versicherer größere Risiken, zumal die Kunden immer höhere Deckungssummen nachfragen. Die Versicherer werden nicht umhinkommen, den Bergbau aus der allgemeinen Sachversicherung herauszulösen und wie im Öl- und Gasgeschäft bereits üblich individuelle Lösungen zu finden. Mit Corporate Insurance Partner als erfahrenem Team von Fachleuten für verschiedene Industriezweige ist Munich Re diesen Weg schon gegangen und hat mit seinem bergbaulich erfahrenen Mining Team ein Erfolgsmodell für technisches Underwriting geschaffen.
Wie Schlammbecken entstehen
Um an Wertminerale zu gelangen, bewegen Bergbaufirmen große Mengen an Gestein. Es muss zunächst gemahlen und anschließend meist unter Zugabe chemischer Lösungen behandelt werden. Je niedriger die Konzentration der Wertstoffe, desto größer ist der Anteil des anfallenden Abraumschlamms. Diese sogenannten Tailings, die teils noch mit Chemikalien belastet sind, werden in große Schlammbecken gepumpt. Die Becken sind gewöhnlich durch Erdwälle gesichert. Da sich die Zeit, die eine Mine gewinnbringend zu betreiben ist, durch steigende Rohstoffpreise meist erhöht, muss häufig auch das Schlammbecken vergrößert werden. Die Unternehmen behelfen sich damit, den Rückhaltedamm sukzessive zu erhöhen.
Je nach Bauweise sind Tailings Dams unterschiedlich stabil. Beim verbreiteten Upstream-Design lässt man die oberste Schicht der Schlammrückstände trocknen und nutzt sie dann als Fundament für die nächsthöhere Erdschüttung (siehe Abb. 1). Diese Variante hat den Vorteil, dass der Damm mit geringem Aufwand und damit kostengünstig errichtet werden kann. Ein derartiger Erdwall ist aber am wenigsten standfest. Das gilt vor allem dann, wenn er zu schnell in die Höhe wächst, ohne dass die oberste Abraumschicht bereits ausreichend getrocknet ist. Weitaus solidere Strukturen erhält man, wenn man den ursprünglichen Damm Centerline (2) oder Downstream (3) erhöht.