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Nicht jede Naturkatastrophe ist höhere Gewalt
Dass das Thema Regress allgegenwärtig ist und auch an unvermuteter Stelle auftritt, zeigt sich beispielhaft an den Buschbränden, die 2007 im kalifornischen San Diego sehr hohe Schäden hinterlassen haben. Während einige Versicherer ausschließlich die lang anhaltende Dürre für die Feuer verantwortlich machten, beauftragten andere Versicherer Anwälte, um Regressmöglichkeiten auszuloten. Im Rahmen der Untersuchungen stellte sich heraus, dass die Brände nicht schicksalsgegeben waren, sondern unter anderem auf schlecht gewartete Stromleitungen und daraus resultierenden Funkenflug zurückzuführen waren. Mit juristischem Beistand gelang es, substanzielle Regressforderungen durchzusetzen.
In einem anderen Fall ging es um einen Wasserschaden an einer Schule in Arizona infolge einer Sturzflut. Im Lauf der Ermittlungen zeigte sich, dass die Schule an einer Stelle gebaut worden war, an der bei heftigen Niederschlägen das Oberflächenwasser der Umgebung in einer Rinne ablief. Deshalb hatte man einen Umleitungskanal gebaut, der aber offenbar nicht ausreichend dimensioniert war, um die Wassermassen aufzunehmen. Der Fall kam vor Gericht, und die verantwortliche Baufirma wurde für 90 Prozent der Schäden haftbar gemacht.
Schwieriger Umgang mit Interessenkonflikten
Selbst wenn klar ist, dass der Verursacher ausreichend Versicherungsschutz bzw. Finanzkraft hat, könnte es sinnvoll sein, Regressansprüche nicht weiter zu verfolgen. Das ist etwa bei einem Kompositversicherer der Fall, der Sach- und Haftpflichtdeckungen anbietet, und wenn beide Sparten von ein und demselben Versicherungsfall mit unterschiedlichen Versicherungsnehmern betroffen sind. Dann steuert man möglicherweise auf einen Interessenkonflikt zu. Denkbar wäre etwa, dass die Haftpflichtpolice des Schadenverursachers eine deutlich höhere Deckung aufweist, als der auf den Versicherer entfallende Schadenanteil ausmacht. Das Verfolgen von Regressansprüchen wäre mithin nachteilig.
Diese reine Summenbetrachtung ist allerdings problematisch, sobald man Teil eines Konsortiums ist und die anderen Versicherer nicht vor dem gleichen Dilemma stehen. Als Lead Carrier etwa steht man mitunter in der Pflicht, die Interessen des Gesamtmarkts (mit) zu vertreten und somit auch Regressansprüche geltend zu machen, selbst wenn das gegen die eigenen Interessen verstößt. Am besten wäre es, wenn dieser Interessenkonflikt gar nicht erst zutage träte. Jeder Versicherer sollte sicherstellen, durch geeignete Compliance-Maßnahmen "Ethical Walls" zu errichten, damit Informationen über die Deckungssummen in der Sach- und Haftpflichtsparte bis zu einer bestimmten Führungsebene vertraulich bleiben. Bestehen nach außen hin Zweifel an einem ethischen Umgang mit solchen Interessenkonflikten, dürfte das nicht ohne Folgen für künftige Beteiligungen an Versicherungskonsortien bleiben. Hier empfiehlt sich eine transparente Darlegung der Situation gegenüber den Mitversicherern und eine situationsgerechte Lösung des Interessenkonflikts.
Ein derartiger Konflikt lässt sich beispielsweise lösen, indem man im Konsortium eine eher beobachtende Rolle einnimmt. Hier gänzlich einseitig auf Regress zu verzichten ist indes häufig auch keine Lösung. Denn möglicherweise schadet sich der Versicherer selbst, wenn er Regressforderungen nicht verfolgt. Denn Mitversicherer, die in keinen Interessenkonflikt hineinlaufen, werden ihre Ansprüche auf alle Fälle durchsetzen wollen und im Erfolgsfall den eigenen Anteil am Regress für sich verbuchen.
Bestimmte Regressausschlüsse sinnvoll
Ein anderer Interessenkonflikt kann entstehen, wenn der Schadenverursacher in einem engen Verhältnis zum Versicherungsnehmer steht. Der Verursacher könnte eine Tochtergesellschaft sein oder eine Behörde, auf die der Versicherungsnehmer für bestimmte Genehmigungen angewiesen ist. Oder es ist ein Schlüssellieferant, der ihm dann den Status des bevorzugten Kunden aberkennt und seine Lieferkette gefährdet. Da das Recht auf Regress dispositiv ist, kann man es jederzeit abbedingen. Tatsächlich ist ein partieller Regressverzicht häufig Bestandteil der Versicherungspolice. Es handelt sich um Ausschlüsse, die ich als Versicherer und Partner im Risiko akzeptiere, weil ich nicht blind gegenüber den Geschäftsinteressen meines Kunden bin. Ein derartiger Regressverzicht setzt jedoch voraus, dass der Kreis der Begünstigten in der Verzichtsklausel klar definiert ist. Ein allgemeiner Verzicht oder die ausschließliche Abhängigkeit von der Zustimmung des Versicherungsnehmers ist dagegen nicht zu empfehlen.
Selbst in diesem Fall ist die Chance auf Regress aber nicht ganz vertan, sofern der Versicherungsnehmer ein eigenes Interesse hat, den Schadenverursacher in die Pflicht zu nehmen. Etwa weil das Verhältnis zu einem Zulieferer nach dem Schadenfall zerrüttet ist oder dem Versicherungsnehmer ein Reputationsverlust droht, wenn er weiter mit dem Zulieferer zusammenarbeitet. Denkbar wäre zudem, dass er hohe Selbstbehalte in einem Schadenfall tragen muss oder das Schadenausmaß die Haftstrecke überschreitet. In diesen Fällen können Versicherer und Versicherungsnehmer die Regressverzichtsklausel jederzeit im gegenseitigen Einvernehmen aufheben.
Idealerweise tun sie dies unter Mitwirkung einer gemeinsam ausgewählten spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei und im Rahmen eines Regressvertrags, in welchem sie ihre Rechten und Pflichten sowie alle wichtigen Punkte ihres gemeinsamen Vorgehens verbindlich festlegen. Hierzu zählen die Aufteilung der Verfahrenskosten sowie eine genaue Regelung, wie die möglichen Regresserlöse verteilt werden. Pauschale Begriffe wie "pro rata" oder "anteilsmäßig" sind dabei oft nicht präzise genug, da klar definiert werden muss, auf welcher Basis die proportionale Aufteilung erfolgen soll. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn es höhere unversicherte Schäden gibt, sei es aufgrund von Selbstbehalten, weil die Haftstrecken ausgeschöpft sind oder es sich um überhaupt nicht gedeckte Schäden handelt. Je höher diese sind, desto geringer ist der Anteil des Versicherers am Bruttogesamtschaden und entsprechend reduziert wäre seine Quote im Erfolgsfall.
Eine Formulierung wie in der Musterklausel der Industrial All Risk Police von Munich Re kann auch im Kontext einer Regelung erst nach Schadeneintritt für die gebotene Klarheit sorgen. Des Weiteren sind Bestimmungen darüber wichtig, in welchem Namen eine eventuelle Klage gegen den Schädiger geführt wird und wer bei gerichtlichen und außergerichtlichen Verhandlungen die endgültigen Entscheidungen trifft. Auch sind Vereinbarungen möglich, dass der Versicherungsnehmer seinen Regressanspruch vollständig abtritt, also selbst gar nicht mehr als Partei in dem Verfahren auftritt und so seinen Namen heraushält.
Stellt man bei diesen zentralen Punkten früh Einigkeit her, kann man deutlich vertrauensvoller zusammenarbeiten und vermeidet potenzielle Konflikte im weiteren Verlauf des Verfahrens. Auf dieser Basis können dann Versicherer und Versicherungsnehmer auch zielstrebiger eine gemeinsame Strategie entwickeln, wie sie gegen den Verursacher vorgehen. Denn der Schuldnachweis ist häufig nicht einfach, er kostet Zeit und Ressourcen.
Systematische Prüfung von Regressmöglichkeiten
Kosten im Blick behalten
In einer solchen Rahmenvereinbarung sollten die Rechte und Pflichten der Parteien sowie die Kosten und Gewinnaufteilung festgelegt werden. Dies umfasst die wesentlichen Prozesse, damit sich die "outgesourcte" Tätigkeit der Kanzlei möglichst nahtlos in die Abläufe der Schadenbearbeitung des Versicherers einfügt. Dazu gehört es, an den Schnittstellen festzulegen, wer wen wann in welcher Form und worüber zu informieren hat, oder bestimmte Schwellenwerte bei Schäden zu bestimmen, ab denen die Kanzlei eingeschaltet wird. Sofern eine von der Höhe der Entschädigung abhängige Vergütung (Contingency Fee) vereinbart wurde, hält sich das finanzielle Risiko für den Versicherer in engen Grenzen. Ist eine erfolgsabhängige Vergütung – wie etwa weitgehend in Europa – aus rechtlichen Gründen nicht möglich, kann man der Kanzlei auf Einzelfallbasis ein festes Budget zur ersten Einschätzung von Regressmöglichkeiten einräumen. Erst wenn sich herausstellt, dass realistische Chancen auf Regress bestehen, wird dann das weitere Prozedere abgesprochen.
Es zeigt sich, dass Versicherer mit dem entsprechenden Bewusstsein und einer strukturierten Vorgehensweise ihre Chancen auf Schadenersatz verbessern. Ein vorschnelles und pauschales Ablehnen von vermeintlich aussichtslosen Ansprüchen ist jedenfalls nicht angebracht. Gerade kleinere Versicherer geraten hier rasch an ihre Grenzen. Spezialisierte Kanzleien oder ein Rückversicherer wie Munich Re können aufgrund ihres Erfahrungsschatzes wertvolle Dienste leisten. Sie verfügen über die nötigen Netzwerke und haben einen langen Atem, um auch jahrelange Auseinandersetzungen durchzustehen.
Munich Re hat in ihrer Industrial All Risk Policy eine Best-Practice-Klausel entwickelt, die auf einen fairen Interessenausgleich bei Regressverfahren bedacht ist. Die Klausel nimmt Bezug auf die zwei entscheidenden Fragestellungen: Wer sind die wesentlichen Stakeholder und wie teile ich die Kosten auf? Vorgesehen ist, dass der Versicherer bei den Verfahrenskosten zunächst in Vorleistung tritt. Im Erfolgsfall werden diese Vorleistungen dann beglichen, bevor die Zahlung des Schadenverursachers auf Grundlage einer ausgewogenen, klar definierten Regelung aufgeteilt wird. Eine Win-win-Situation, die für beide Seiten einen Mehrwert schafft.
Wer nun immer noch zweifelt, ob sich eine gründliche Beschäftigung mit dem Thema Regress lohnt, dem sei zum Abschluss eine sehr einfache Rechnung mit auf den Weg gegeben: Bei einem erfolgreichen Regress handelt es sich immer um einen risikofreien Nettoerlös. Etwas vereinfacht betrachtet bedeutet dies, dass eine durchgesetzte Regressforderung von 100.000 Euro bei einer Combined Ratio von 95 Prozent einer gezeichneten Prämie von 9,5 Millionen Euro entspräche.